Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Heute, endlich, wird die Fußballweltmeisterschaft entschieden. In Südafrika, auf dem Platz, in 90 oder 120 Minuten oder nach Elfmeterschießen. Und für Sieg oder Niederlage sorgen zweiundzwanzig Fußballer auf dem Rasen. Sollte man meinen. Viele sind da aber anderer Ansicht. Sieg und Niederlage hängen für nicht wenige an einem Kraken, einem Delfin, an Seehunden, Schildkröten, Papageien oder Hunden. Die orakeln den Ausgang einzelner WM-Spiele. Auch andere skurrille Blüten treibt die Leidenschaft der Fans für ihre Mannschaften. Nach dem Spiel gegen Argentinien habe ich mit einem Freund telefoniert, der steif und fest behauptet hat: „Wir haben gewonnen, weil ich zu jedem Spiel ein Trikot der Weltmeistermannschaft von 1954 angezogen habe." Das habe ich wieder anderen Freunden erzählt. „Nein," haben die protestiert, „wir spielen so gut, weil wir am Anfang immer die Nationalhymne im Stehen mitsingen." Andere zünden eine Kerze neben dem Fernseher an, rasieren sich am Spieltag nicht oder stehen morgens immer mit dem linken Fuß auf. Nur Aberglaube? Erstaunt bin ich schon. Menschen, die ganz nüchtern und intelligent durch die Welt gehen, die glauben plötzlich daran, dass sich bei einem Fußballspiel ein paar tausend Kilometer entfernt etwas tut, wenn sie bestimmte Klamotten anhaben, fest an den Sieg glauben oder Kerzen anzünden. Reiner Blödsinn? Ich gebe zu, ich glaube an die Kraft der Rituale und Gedanken. Beide gehören auch zum christlichen Glauben dazu. Auch hier gibt es wiederkehrende Rituale. Auch hier bitten wir zum Beispiel für Menschen, die uns weder sehen noch hören können. Wir denken im Gottesdienst an die Menschen, die Hilfe brauchen. Aber einen entscheidenden Unterschied zu den Fußballritualen sehe ich doch. Ich bin sicher: Gedanken und Rituale machen weder gesund, noch gewinnen sie Weltmeisterschaften. Ihre Kraft liegt auf einem anderen Feld. Rituale, Bitten, das Denken an jemanden, sind vor allem für mich und die Gemeinschaft gut, in der ich lebe. Sie zeigen uns: Ich bin nicht allein, wir sind verbunden mit anderen Menschen. Und das - tut einfach gut. Ganz egal, ob meine Mannschaft Weltmeister wird - oder schon in der Vorrunde ausgeschieden ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8633
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