Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Wenn die Bibel ernst genommen würde, dann müssten unsere Kirchen leerer sein. Jesus sagt schließlich in der Bergpredigt: „Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe." (Mt 5, 23-24)
Mit anderen Worten: Schön, wenn  jemand den Gottesdienst mitfeiern möchte, wenn ihm die Gemeinschaft mit Gott wichtig ist. Aber vorher soll er das aus dem Weg räumen, was die zwischenmenschliche Gemeinschaft stört. Dabei geht es Jesus nicht um das, was ich einem anderen angetan habe - das wäre noch leichter zu verstehen. Jesus denkt vielmehr an den Fall, dass ein anderer etwas gegen mich hat - und gerade für diesen schwierigen Fall fordert Jesus: Erst Versöhnung, dann Gottesdienst. Das klingt radikal - so radikal, wie Jesus eben war.
Er selbst war oft im Tempel, und in der Synagoge hat er am Gottesdienst teilgenommen und auch mitgewirkt. Das Wort Gottes und das Gebet waren ihm zentral wichtig. Gerade deshalb weist der die Menschen auf das hin, worauf es dabei ankommt.
Das Christentum ist keine Religion, die sich vor allem in der Kirche abspielt. Es will das ganze Leben erfüllen. Die Gemeinschaft mit Gott ist kein Ersatz für die Gemeinschaft mit den Mitmenschen - im Gegenteil. Was Jesus in der Bergpredigt sagt bedeutet: Wer eine gute Beziehung zu Gott haben will, der muss zuerst einmal die Beziehung zu seinen Mitmenschen pflegen. Wer sich Gott zuwenden möchte und wer hofft, dass Gott ihm seine gnädige Zuwendung schenkt, der muss sich vorher seinen Mitmenschen zuwenden, gerade denen, die sich mit ihm schwer tun. Danach erst kann der Gottesdienst richtig fruchtbar werden. Dann kann er Kraft dazu geben, dass ich mich selbst besser annehmen kann und dass ich auch meine Mitmenschen noch besser annehmen kann. Dann kann der Gottesdienst zu einer neuen Lebensqualität beitragen. Zu einer Kultur der Gemeinschaft, in der das aus dem Weg geräumt ist, was uns das Miteinander im Alltag unnötig schwer macht. Dann wird Gottesdienst zum Lebensdienst, zum Dienst auch am Leben. Und dann erfüllt er seinen tiefsten Sinn.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8596
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