SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Die Frau überlegt, schreibt, überlegt. Dann schließt sie langsam das Buch.
Das Buch liegt auf einem kleinen Tisch, in der Kirche. Wer will, kann kommen und sein Anliegen, seine Bitte hineinschreiben. Dicht beschrieben sind die Seiten. Von Krankheit, Scheidung und Verlusten ist da zu lesen. Naturkatastrophen, Kriege in den Familien und zwischen Völkern. Aber auch scheinbar Unbedeutendes ist zu lesen. Ein Mädchen bittet Gott, er möge ihr bei der Rettung ihres Garfield helfen, der in den Heizkörper gefallen ist, ein Junge bittet, dass die Deutschen wenigstens ins Viertelfinale kommen. Nichts ist ausgelassen. Ein Buch voller Notlagen, ein Buch voller Hoffnung, auch Dankbarkeit. Nicht nur Gebete, sondern auch Klagen und Bitten ohne Adressaten kann man lesen.

Jeden Mittwoch trifft sich eine kleine Gruppe in der Kirche.
Sie stehen vor dem Altar und beten für alle Anliegen, die in dem Buch stehen. "Es ist für mich die beste Zeit in der ganzen Woche" sagt eine Frau aus diesem Kreis. "Wir sind nur ein kleines Häuflein, aber wir haben das Gefühl, dass Gott uns sieht und vor allem, dass er uns hört. Das kann ich in dieser halben Stunde merken."
Eine Kirche, ein Buch, ein Kreis von Menschen, die beten.
Es wächst die Zahl derer, die in das Buch schreiben.
Bei manchen merkt man, dass sie von Gott enttäuscht wurden, eigentlich gar nicht mehr an ihn glauben.
Und doch ist bei allem noch ein Funken von Hoffnung vorhanden. Auch wenn ich selbst nicht beten kann - andere tun es für mich. Sie bringen meine Sorgen und Ängst vor einen Gott, der mir selber fremd geworden ist. Aber wenn es ihn gibt, diesen Gott, dann muss er doch hören und helfen können.

Im Gebet liegt eine Kraft, auch wenn ein Mensch selbst nicht beten kann. Darum ist es wichtig, dass andere von seiner Not erfahren, andere, die beten können. Und wenn es diese anderen nicht gibt? Ich glaube, gerade dann ist besonders wichtig, die Not irgendwie auszusprechen.
Vielleicht hilft es, Gott einen Brief zu schreiben. Beim Schreiben kommen die Gedanken, es kommt etwas in Fluss, und ich sehe plötzlich Dinge, für ich mich auch bedanken könnte. Der Brief ist fertig - ob ich nicht doch einen Menschen kenne, dem ich das geben könnte?

Manchmal kommen Menschen, die bedanken sich für das Gebet.
Eine Frau hat ihrem sterbenskranken Mann gesagt, dass in der Kirche für ihn gebetet wird.
Das ist gut, hat er geantwortet. Er, der nie in eine Kirche ging und mit dem Glauben seiner Frau nichts anfangen konnte. Getragen, geborgen von einem Gebet, das andere für ihn beten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8578
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