SWR2 Wort zum Tag

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Mit meinem Sohn war ich auf dem Flohmarkt. Es wurde aber auch Zeit: Kleider, aus denen er schon seit Jahren herausgewachsen ist, Kinderspiele, ausgelesene Krimis und nicht mehr getragene Schuhe verstopften das Haus. Ich mag es, Dinge auszusortieren, es hilft mir, den Kopf zu klären. Wir haben jedes Teil in die Hand genommen und abgewogen: Was brauchen wir, was ist überflüssig und kann auf den Flohmarkt oder auf den Müll.
Natürlich kann man auch Nicht-Materielles aussortieren. Die wenigsten Leute haben mit 40 noch dieselbe Einstellung wie mit 14, und mit 70 wird es wieder anders aussehen - hoffentlich jedenfalls! Es spricht für die eigene Beweglichkeit, auch innerlich ab und an einiges auf den Müll der Geschichte zu werfen, wenn man nicht wie in einem Sperrmülllager leben will.
Da liegt es nahe, den eigenen Glauben auszusortieren, zumal, wenn er unbequem geworden ist wie ein zu enges Kleidungsstück. Unbequem ist für viele Christen auf der Welt ihr Glaube. Für Christen in China, in Somalia, in Indien ist es riskant, oft lebensgefährlich, zu glauben. Merkwürdigerweise haben die Kirchen dort trotzdem einen großen Zulauf, möglicherweise, weil die Menschen in dieser bedrängten Situation eher spüren, was sie an ihrem Glauben haben: eine große innere Freiheit in einer äußerlich unfreien Situation, eine Unabhängigkeit, die ihnen keine Diktatur nehmen kann. Ich merke: Nicht alles, was unbequem ist, muss auf den Müll. Vielleicht passt es gerade deshalb noch zu mir. Bequem bin ich schließlich auch nicht.
Aus anderem bin ich tatsächlich herausgewachsen, z. B aus meinem Kinderglauben. Manchen Menschen geht das auch so, aber sie nehmen dann gleich ihren ganzen Glauben wie eine alte Lampe in die Hand und entscheiden sich: Ab damit auf den Müll.
Ich kann das verstehen, schließlich erinnere ich mich noch gut an eine Zeit meines Lebens, in der ich mit meinem Glauben schon an der Sperrmüllstation angekommen war, ja, ihn dort schon abgegeben hatte. Erst kam ich mir richtig befreit vor, aber dann drehte sich das Gefühl. Ich habe gemerkt, dass ich ohne meinen Glauben nicht gut leben kann und will. Ich habe dann lange gesucht, und glücklicherweise konnte ich ihn wiederfinden. Heute weiß ich, dass dieser Glaube das Kostbarste ist, was ich habe.
Es ist gar nicht so einfach den Glauben wiederzufinden, wenn er erst einmal auf der Müllhalde entsorgter Denk- und Glaubensmodelle liegt. Trotzdem plädiere ich dafür, den Glauben immer wieder kritisch in die Hand zu nehmen und abzuwägen: Brauche ich ihn noch? Ist er mir wertvoll? Möglicherweise merke ich erst ja beim Abstauben für den Flohmarktverkauf, dass er einen eigenen neuen Glanz für mich gewinnt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8530
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