SWR2 Wort zum Tag

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Ich finde: Gott ist zum in die Knie gehen.
Wir knien ja selten als evangelische Christen. Ich bin sehr gerne evangelisch, aber ich finde es schade, dass wir kaum Gelegenheit dazu schaffen in unseren Gotteshäusern und Gottesdiensten. Bei uns kniet man in der Regel nur bei der Konfirmation und der Hochzeit. In wenigen Gemeinden ist es üblich, beim Abendmahl zu knien.
Ich meine: Es gibt doch Situationen, die erfordern einfach einen Kniefall! Das hat Willy Brandt gespürt und damit die Welt berührt, 1970 in Warschau, als demütige Geste vor den Opfern des Nazi-Regimes, nach der Kranzniederlegung vor dem Warschauer Ghetto. Das angespannte Verhältnis zu Polen konnte sich danach verändern, vorsichtige Öffnung wurde möglich. „Ich hatte das Gefühl, stehen reicht nicht" hat Willy Brandt später gesagt.
Wenn etwas wirklich wichtig ist, geht ein Mensch in die Knie. Auch wenn es um so private Dinge wie die Liebe geht: Kein Zufall, dass Brautpaare vor dem Altar knien.
Eine Liebe hat man nicht in der Hand - genauso wenig wie das eigene Leben. Und so gibt es im Grunde jeden Tag etwas, wofür ich Gott auf Knien danken kann - oder worum ich ihn bitten möchte. Mit meinen Konfirmandinnen und Konfirmanden habe ich daher Gebetsbänkchen gebastelt. Wir haben miteinander entdeckt, dass wir auf dem Bänkchen lange knien konnten - in einer Mischung aus Demut und Hochmut. Demut, die das eigene Leben in Gottes Hand weiß, und Hochmut, der es wagt, sich an den Schöpfer der Welt zu wenden. Auch körperlich drückt sich das aus: Meine Knie sind gebeugt, mein Kopf streckt sich zum Himmel aus. Klar, erst einmal fanden die Jugendlichen das komisch. Aber sie waren dann selbst verblüfft darüber was sich verändert, wenn sie in die Knie gehen. Sie konnten ruhig werden, gleichzeitig hatten sie viele Ideen und gute Gedanken. Sicher - einige haben sich nicht so richtig damit anfreunden können. Anderen dagegen wurde erst kniend klar, welcher Konfirmationsspruch der richtige für sie sein würde. Auf das Holz des Bänkchens haben dann alle ihren Konfirmationsspruch geschrieben. Und alle haben ihr Bänkchen stolz nach Hause getragen.
Mag sein, es ist verrückt, sich Gott so anzuvertrauen - auf Knien. Doch ich brauche immer wieder auch diese körperliche Erfahrung, dass ich mich Gott auf Knien anvertrauen kann. In meiner Familie gibt es Menschen, die an Arthrose leiden - ich fürchte, eines Tages werde ich es wohl einfach körperlich nicht mehr schaffen, mich kniend Gott anzuvertrauen. Doch ich habe einen Weg gefunden: Wenn meine Gelenke nicht mehr mitspielen, dann tue ich es halt auf den Knien meines Herzens.

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