SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Eine alte Fabel erzählt von einem Vogel, der sich so wichtig nahm, dass er meinte, ohne ihn würde die Welt zusammenbrechen. Er lag darum ständig auf dem Rücken und streckte seine Beine starr gegen den Himmel.
Ein anderer Vogel beobachtete das, flog herbei und fragte ihn: „Warum machst du das? Liegst so merkwürdig auf dem Rücken und streckst deine Beine nach oben?"
„Es ist so", sagte der andere, „ich trage nämlich den Himmel mit meinen Beinen. Würde ich sie nur einen Moment wegziehen und loslassen, dann würde das ganze Himmelsgewölbe einstürzen!"
Aber kaum hatte der Vogel das gesagt, löste sich von Baum nebenan ein Blatt und raschelte dicht neben ihm ins Gras. Da bekam der Vogel einen solchen Schrecken, dass er seine Beine einzog und in Panik davonflog. Der Himmel aber, so endet die Fabel, wölbte sich wie immer über der Erde.
Die Fabel erzählt davon, worin das Geheimnis christlichen Humors liegt. Dieser Humor deckt ein Imponiergehabe auf, das sich schnell als hohl erweist. Aus der Aufgeblasenheit des Vogels wird wie aus einem Luftballon die Luft herausgelassen, so dass deutlich wird, was drinnen war: alles heiße Luft.
So ist wohl auch die Stelle in einem Psalm zu verstehen, wo Gott lacht angesichts der Machenschaften, mit denen die Mächtigen dieser Erde den kommenden Friedenskönig zu Fall bringen wollen: „Aber der im Himmel wohnt, lachet ihrer, und der Herr spottet ihrer", heißt es da.
Lachen setzt immer dann ein, wenn die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit augenfällig wird. Wenn das kleine Kind, das den Kaiser in seinen angeblich neuen Kleidern beobachtet, unverblümt die Wahrheit ausspricht: „Aber der Kaiser ist ja nackt."
Nein, die Welt liegt nicht auf meinen Schultern, wie der Vogel meint. Sie wird selbst dann weitergehen, wenn es mit mir nicht mehr weitergeht. Was aber auf den ersten Blick aussieht wie eine Enttäuschung, ist in Wahrheit eine Entlastung. Sie befreit aus dem Zwang, sich dauernd die eigene Wichtigkeit bestätigen zu müssen.
Sie führt in die heitere Gelassenheit, die weiß, dass sie nirgends anders als in der Hand Gottes geborgen ist.
Wer sich nicht krampfhaft nach oben strecken muss, dessen Hände und Beine gewinnen Bewegungsfreiheit, um das Notwendige zu tun. Dabei lässt sich eine wichtige Erfahrung machen: nicht ich halte den Himmel, sondern in Wirklichkeit hält der Himmel mich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8485
weiterlesen...