SWR2 Wort zum Tag

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„Ich bete doch nicht zu einem Rohbau!" Der junge Mann aus 12. Klasse war nicht zufrieden mit dem Zwischenergebnis meiner Religionsstunde. Es ging um den merkwürdigen Satz, mit dem Gott sich selbst vorstellt, als er Moses im brennenden Dornbusch erscheint: „Ich werde sein, der ich sein werde".
Moses fragt Gott nach seinem Namen - und der antwortet: „Ich werde sein, der ich sein werde." So übersetzt Luther. Oder: „Ich bin, der ich bin" - so versuchen andere, die Zeitform zu übersetzen, die in der hebräischen Sprache für das Unabgeschlossene steht.
„Ich werde sein, der ich sein werde" - ein Name ist das nicht. Nichts, das jemanden eindeutig erkennbar und unterscheidbar macht. Der Gott, der Moses erscheint, hat keinen festen Namen. Oder er gibt ihn nicht preis. Er lässt sich nicht abschließend definieren und festlegen, weil sein Wesen offen ist für die Zukunft, ein unabgeschlossener Prozess.
„Ich bete doch nicht zu einem Rohbau", so hat der Schüler das „Gottesbild" in dieser Geschichte für sich auf den Punkt gebracht.
Ein Gott, der nicht fertig ist - kann man zu dem beten? Der Einwand des Schülers scheint berechtigt. Jemandem zu vertrauen, der sich nicht festlegen möchte, das ist ja in der Regel nicht ratsam.
Deshalb lohnt es sich, noch einmal genauer hinzuschauen auf diese seltsame Selbstvorstellung Gottes. Sie steht am Beginn der Geschichte vom Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Am Beginn der großen Geschichte der Befreiung aus der Sklaverei, die gleichzeitig eine lange Reise ins Ungewisse ist. Wenn Gott an dieser Stelle sagt: „Ich werde sein, der ich sein werde" - dann heißt das gleichzeitig: Ich werde für euch da sein - aber nicht immer auf die gleiche Weise, sondern in jeder Situation neu. Ihr habt mich nicht in der Hand, habt keinen Namen, mit dem ihr mich beschwören könnt. Aber ihr habt meine Zusage, dass ich in Zukunft bei euch sein werde, so wie ich es bei euren Vätern und Müttern in der Vergangenheit war. Da lege ich mich fest. „Ich bin der ‚Ich-bin-da'" - wie es in einer anderen Übersetzung heißt.
„Ich bete doch nicht zu einem Rohbau!", hat der Schüler eingewandt. Ich würde sagen: Gott ist kein Rohbau. Er ist schon ganz da. Aber er bleibt trotzdem im Werden. Er ist nicht fertig, weil er nicht will, dass wir mit ihm fertig werden. Weil er nämlich mit uns - und der ganzen Schöpfung - nicht fertig ist.

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