Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Im Supermarkt am Freitagnachmittag. Schnell alles für´s Wochenende eingekauft. Der Wagen voll. Die Schlangen an den Kassen lang.
Ich steh´ an achter oder neunter Stelle. Vor mir eine junge Frau.
Von der Seite will ein sehr alter Mann, mit weißem Haar und wackeligem Schritt, seinen Wagen in die Schlange einfädeln.
Der jungen Frau geht das zu weit. „Moment mal!", fährt sie den alten Mann an, „so geht das nicht. Sie haben doch wirklich genug Zeit!"
„Verzeihung, ich habe gedacht ...", irritiert schert er wieder aus und stellt sich ganz hinten an.
Eine Stimme hinter mir wirft empört ein: „Das stimmt doch gar nicht, Papa.
Der Mann hat gar nicht mehr viel Zeit. Der ist doch schon sooo alt."
Das Gesicht der jungen Frau vor uns wird schamrot.
Und alle werden ein wenig verlegen.
Der Sohn meines Warteschlangen-Nachbarn hat recht.
Wenn ich jung bin, habe ich viel, viel Zeit vor mir.
Und wenn ich sehr alt bin, wird die Zeit, die mir bleibt, immer knapper.
Mir geht der Spruch: „Unsere Zukunft ist die Jugend", durch den Kopf.
Unsere Zukunft.
Dann denk´ ich an den alten Mann in der Schlange. Irgendwann ist das meine Zukunft. Dann bin ich auch so alt. Meine Zukunft ist nicht die Jugend. Meine Zukunft ist das Alt-sein. Nur daran denke ich heute selten.
Mir passt das nicht: Dass ich irgendwann nicht mehr voll mithalten kann.
Dass ich irgendwann - in dreißig, vierzig Jahren - angewiesen bin auf die Nachsicht der Jungen.
In der Bibel wird an vielen Stellen ein respektvoller Umgang mit den Alten gefordert.
„Steht ehrerbietig auf, wenn ein Mensch mit grauem Haar zu euch tritt. Begegnet den Alten mit Achtung und fürchtet euren Gott. Ich bin der HERR!"
Ein sinniges Gebot. Und leicht zu erfüllen. Denn es nützt auch meinen eigenen Interessen.
Die Zeit wird kommen, da gehöre ich selbst zu den Grauen und Alten.
Dann bin ich froh, wenn ich im Supermarkt mit meinen wackeligen Beinen vielleicht nicht lange in der Schlange stehen muss. Weil ein Junger mich vorlässt. Aus Gottesfurcht und aus Menschenliebe.
Wenn das die Jugend ist, die uns im Alter begegnet, dann stimmt es wieder: Unsere

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8458
weiterlesen...