Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Liebe Leute, heute erzähle ich Ihnen etwas über die Ungerechtigkeit gegenüber Kindern.
Ungerechtigkeit ist, in der Schule nachsitzen müssen, aber Lehrer müssen nie nachsitzen, ganz egal wie blöd sie sind.
Ungerecht ist Süßigkeitenverbot, aber die Eltern schütten ihren Kaffee mit Zucker voll.
Still sein müssen, wenn die Alten quatschen, selbst wenn’s nur Mist ist,
aber selber dürfen sie immer stören wenn man grad mit Freunden spielt.
Dass Eltern sich scheiden lassen und nicht mal fragen, ob man auch geschieden werden will. Das alles ist ungerecht.“
„Emil und die Detektive“ heißt der Roman von Erich Kästner, aus dem ich Ihnen eben vorgelesen habe. Was Kästner uns Erwachsenen damit sagen will, ist klar: wir messen oft mit zweierlei Maß und merken es nicht.
Nicht leicht zu hören, aber da ist viel Wahres dran.
Ich bin als Pfarrer in einer Schule tätig und Vater von zwei Töchtern. Wie oft bin ich ungerecht? Daheim, in der Schule? Wie schnell ist da eine Klassenarbeitsnote festgeschrieben, obwohl ich genau weiß, dass die doch nur eine Tagesform des Schülers zeigt?
Ich möchte mit Ihnen mal einen Moment träumen von einer Welt, die anders funktioniert.
Eine Welt, in der jeder sagen darf, welche Tagesform er gerade hat und wie es ihm geht.
Eine Welt, in der ich sein kann wie ich bin, mit meinen Erfahrungen im Leben, mit all dem was mir gelingt, aber auch misslingt.
Eine Welt, in der jeder offen und ehrlich sein darf, ohne dafür gleich erzogen und bewertet zu werden.
So zu träumen ist nicht weltfremd, denn in dieser geträumten Welt gewinnen wir alle.
Wo ich ehrlich sein darf und wo ich weiß, dass ich für meine Offenheit geliebt werde, da hat auch die Gerechtigkeit schon ein Stück gewonnen.
Ich weiß, dass wir das alles nicht aus eigener Kraft schaffen. Deshalb möchte ich für diesen Tag Gott bitten:
Gott, schenke uns die Ruhe und die Besinnung, auf das zu hören, was wichtig ist für die Kinder in dieser Welt und auch für das Kind in mir.
Gott, gib mir Menschen an meine Seite, die mir die Wärme und Zuneigung geben, die wir alle brauchen. Die Wärme und Zuneigung nach der sich Emil in der Geschichte sehnt, von der ich träume und nicht aufhören will zu bekommen. Amen.
Gott schütze Sie. https://www.kirche-im-swr.de/?m=845
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