SWR2 Wort zum Tag

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Sarajevo. Vor zwei Wochen war ich mit dem Rottenburger Bischof Gebhard Fürst in der Hauptstadt der Republik Bosnien-Herzegowina. Der muslimische Großmufti von Sarajevo, Mustafa Ceriċ, hatte den Bischof eingeladen. Vor drei Jahren war er selber zu Gast in Rottenburg. Im Mittelpunkt der Gespräche stand der Dialog zwischen den Religionen.
Sarajevo ist eine lebensfrohe Stadt mit südlichem Flair. Sehr viele junge Menschen prägen das Straßenbild. An das alte muslimische Viertel mit seinen Moscheen und Basaren schließt sich der Stadtbezirk aus der Habsburger Zeit an - mit schönen Häusern aus der Gründerzeit, mit Jugendstilfassaden und modernen Geschäften. Mitten drin die Kathedrale der katholischen Erzdiözese. Diese Stadt galt lange als Ort, an dem Katholiken und Orthodoxe, Muslime und Juden im Frieden miteinander lebten. Sarajevo als Modell einer neuen europäischen Gesellschaft. Heute allerdings sind an vielen Stellen noch zerstörte Häuser, Einschusslöcher an den Fassaden und viele kleine Friedhöfe mitten in der Stadt zu sehen. Sie zeugen von einem mörderischen, hasserfüllten Krieg, der in den Jahren 1991 bis 1995 das Ringen der Bevölkerung von Bosnien und Herzegowina um Selbständigkeit begleitete. Der Kampf der Völker um Macht und Einfluss riss auch tiefe Gräben zwischen den Religionen auf.
Und heute? Der Krieg liegt 15 Jahre zurück. Aber die Toten sind nicht vergessen. Die Wunden sind noch nicht verheilt, die meisten Vertriebenen nicht mehr zurückgekehrt. Waren früher die Religionen in etwa gleichmäßig verteilt, so lebt heute eine Minderheit von Katholiken unter einer Mehrheit von Muslimen. Zahlreiche neue Moscheen geben davon Zeugnis. Die Orthodoxen haben sich in einer eigenen Provinz abgegrenzt; die jüdische Gemeinde, schon im Zweiten Weltkrieg fast völlig ausgelöscht, zählt heute nur noch wenige Mitglieder.
Der Dialog sei schwieriger geworden, so hören wir. Aber es gibt keine Alternative zum Dialog. Gerade dann, wenn das Zusammenleben zerbrechlich ist, wenn sich Minderheiten benachteiligt fühlen und Mehrheiten sich überheblich verhalten. Dialog ist ein modernes Wort für Frieden. Woher soll der Friede kommen, wenn es keinen Dialog unter den Religionen gibt?
Die Verantwortlichen der Religionen in Sarajevo bemühen sich um einen neuen gemeinsamen Weg. So haben sie etwa einen Interreligiösen Rat gebildet, der das gegenseitige Verstehen fördert und die Rechte der Minderheiten stärkt. Sie haben genug unter dem Fluch des Krieges gelitten und sehnen sich danach, dass der immer noch zerbrechliche Friede Bestand hat. „Segnen Sie unseren Frieden", bittet der muslimische Großmufti den katholischen Bischof zum Abschied.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8448
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