SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Wo liegt das Gelobte Land? In den zurückliegenden vier Monaten habe ich mich bei einem längeren Studienaufenthalt an der Ostküste Nordamerikas danach umgesehen. Denn an jener Küste kommen sie seit fast vierhundert Jahren an: Glückssucher, Freiheitskämpfer, Abenteurer, Hungrige, Flüchtlinge. Auch aus dem württembergischen Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, waren vor hundert Jahren einige aufgebrochen und nach Amerika ausgewandert.

Welche Sehnsucht zog sie weg aus dem Vertrauten? Die ersten, die aufbrachen, wollten Glaubensfreiheit. In den britischen Kolonien jenseits des Meeres, in der Neuen Welt, in Amerika, sei ein zweiter Garten Eden, sagte man. Dort sei alles möglich: Religionsfreiheit, dass jede und jeder sein eigener Herr, seine eigene Frau sein könne, dort gäbe es Wohlstand zu erwerben und Gerechtigkeit zu erleben.

Die Pilgrim Fathers and Pilgrim Mothers, die ersten Kolonisten in der Neuen Welt, waren überzeugt davon: Dort, im Gelobten Land Amerika war auch die Zukunft der Kinder Gottes! Freilich, nicht alle der Amerikareisenden suchten Gott. Manche wollten auch nur ihr Glück in Gold und Reichtum machen. Doch die ersten Kolonisten organisierten sich und wussten, dass sie nicht mit Gesetzlosigkeit, sondern nur gemeinsam und mit gegenseitiger Unterstützung überleben würden. Sie merkten rasch: Das Gelobte Land war nichts Jenseitiges, sondern sehr irdisch und diesseitig. Sie lernten, den Alltag zu bewältigen, mit Holz umzugehen, Ahornsirup zu gewinnen und Mais und Tabak anzubauen.

Auch in der Neuen Welt galt es, einen irdischen Alltag zu schaffen. Der sollte das widerspiegeln, was man vom Gelobten Land erwarten durfte, in Recht und Gesetz, Solidarität und Gemeinwesen, in der Ordnung des Zusammenlebens und der Achtung vor Anderen. Die Sehnsucht nach dem Gelobten Land in der irdischen Welt führte nicht ins Vergeistigte, sondern ins konkrete Leben hinein. Ob daher der viel gerühmte und manchmal belächelte amerikanische Pragmatismus kommt?

Die biblischen Erzähler denken ähnlich pragmatisch und konkret. Denn als Alltagsglück wird das Gelobte Land schon in der Bibel beschrieben: Jede, jeder hat genug zu essen (Lev. 25,19), und kann in Frieden unter seinem Feigenbaum und Weinstock sitzen (1. Kön.5,5), ein jeder schöpft Wasser aus eigenem Brunnen (2. Kön. 18,3) und erntet in einem Land, das voll Korn und Wein, voll Brot und Weinbergen, voll Ölbäumen und Honig ist (2. Kön. 18,32). Jede und jeder kann sicher wohnen und Friede ist auf allen Seiten ringsum (1. Kön,5,4-5).

Für dieses Gelobte Land muss man nicht auswandern. Aber man muss etwas dafür tun.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8411
weiterlesen...