SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Heute schon Selbstgespräche geführt? Selbstverständlich, ständig laufen die inneren Dialoge: „Ach, den kennst du doch? Sollte ich nicht den Besuch machen?" Unablässig läuft das innere Gespräch - über Kleinigkeiten, aber auch im Grundsätzlichen. „Hätte ich mich doch damals anders verhalten! Soll ich mich auf diese Beziehung einlassen? Sollte ich nicht mehr für mich tun?" Nicht erst Goethes Faust klagt über die zwei Seelen in seiner Brust!. Und wenn es nur zwei wären! Ich spiele viele Rollen auf der Bühne meines Lebens, aber wer ist der Regisseur, wer gibt den Ton an und ist Dirigent? Und wer schreibt das Drehbuch, die Partitur? Der Mensch erlebt sich wie ein kleines Welttheater auf der inneren Lebensbühne, der Seele. Genau deshalb ist das spirituelle Lebenswerk von Marguerite Porete so aktuell. Diese flämische Mystikerin, vor 700 Jahren in Paris tragischerweise verbrannt, beschreibt das geistliche Wachstum wie einen ständigen dramatischen Dialog. Hauptfiguren sind „die Liebe" und „die Vernunft". Verrückt ist die eine, nüchtern die andere - wie könnte es anders sein. Ergriffen von Gottes Liebe, sieht die Seele - also der ganze Mensch - sich innerlich angesprochen: Natürlich ist es verrückt, Jesus zu lieben und ihm nachzufolgen. Im Sinne der Bibel sich von Gott lieben zu lassen und ihn wieder zu lieben, wie das Jesus tat und uns empfiehlt - eine ziemlich abenteuerliche Geschichte. Die ganze Bibel erzählt davon, Marguerite in ihrem Buch „Der Spiegel der einfachen Seelen" nicht minder. Immer wieder ist es die Vernunft, die der Liebe ins Wort fällt: Sich ganz auf Gott verlassen, das ist doch viel zu riskant, sagt sie z.B.. Lieber die Fäden selbst in der Hand behalten Lieber das Ego in der Hand als die geistliche Taube auf dem Dach. Gott lieben und seinen Willen tun - warum eigentlich? Für Marguerite ist klar: Wer sich von Gott lieben lässt und ihn so liebt, wie Jesus von Nazaret, der wird frei und authentisch und kreativ. Sein Herz hängt an nichts in der Welt und gerade deshalb ist es allem und allen zugewandt. Aber die Vernunft ist skeptisch: sich von Gott lieben lassen? Betend mit ihm im Gespräch sein? Viel zu gewagt, viel zu verrückt. Aber schließlich lässt Marguerite die Vernunft sterben. Denn die kommt spürbar an ihre Grenzen. Das, worum es wirklich geht, ist nicht zu fassen, wortwörtlich. Es ist auch nicht zu beschreiben, man muss es leben - und Marguerite tut es, als Frau in der Männerwelt, als Laie in der Kleruskirche. Ihr Fazit im Buch lautet: Gott da ist - und wer sich auf ihn verlässt, ist letztendlich nie verlassen. Er ist im Frieden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8364
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