SWR2 Wort zum Tag

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„Es war einmal eine bedürftige Kreatur, die lange Zeit überall in der Welt Gott suchte..." Das klingt fast wie im Märchen, und ist doch Realität „als wär's ein Stück von mir". Der Mensch, der da von sich erzählt, wurde vor 700 Jahren tragischer Weise in Paris verbrannt - eine aufregende Christin, die in einem Buch ihren Pilgerweg zu Gott beschreibt - und zu sich selbst. Marguerite Porete heißt sie und stammt aus dem flämischen Nordfrankreich. Nicht ihr Ego steht im Mittelpunkt, deshalb spricht sie ganz scheu in der dritten Person von einer bedürftigen Kreatur, von einer „mit sich selbst beladenen Bettlerin". Sie hat nur eins im Sinn, sie sucht Gott. Denn ohne ihn ist in allem etwas zu wenig. Wahrhaft er selbst wird der Mensch nur, wenn er seiner Gottbedürftigkeit folgt und solange sucht, bis er fündig wird. Davon ist sie als Christin überzeugt.
„Der Spiegel der einfachen vernichtigten Seelen" heißt ihr Buch, das Dokument einer wahnsinnigen Liebesgeschichte. „Fern-nah" ist der geliebte Gott. Je mehr der Mensch sich von seinem Lockruf aber umtreiben und bewegen lässt, desto mehr bekommt er genau das zu spüren: Kostbare tröstende Nähe in manchen Augenblicken schon jetzt, aber eben auch noch schmerzhafte, unendliche Ferne. Marguerite schreibt aus eigener Erfahrung. Sie hat Menschen im Blick, die anständig leben, das Gute wollen und auch rechte Christen sind. Aber sie nennt sie trotzdem traurig. Sie spüren nämlich, dass der wirkliche Friede noch nicht da ist. Sie kennen die Traurigkeit, noch kein Heiliger zu sein. Wie viel wird in Christenkreisen von Liebe und Frieden gesprochen! Aber wo wird er erlebt und gelebt? Für Marguerite ist klar: Wer sich nicht, wortwörtlich, ganz auf Gott verlässt, findet den Frieden nicht. Nichts in der Welt kann letztlich Erfüllung schenken, wenn nicht Gottes Liebe darin ist. Wenn aber nicht mehr das Ego regiert, sondern Gottes Liebe, dann ist alles gut, schon jetzt - selbst wenn es schlimm bleibt und schwer ist. . Das macht diese Frau so frei, so mutig und demütig, das gibt ihr eine unverwechselbare Stimme in der christlichen Freiheitssymphonie des Evangeliums. 200 Jahre später wird Martin Luther von der Freiheit eines Christenmenschen schreiben: Niemandem untertan, weil allein in Gott gegründet und allen untertan, weil es keine Gottesliebe gibt ohne Nächsten- und Selbstliebe. Das macht diese Glaubenslehrerin so aktuell.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8363
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