SWR2 Wort zum Tag

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Etwas Neues zu denken, braucht Mut. Und oft wird dieser Mut erst sehr spät gewürdigt. Zum Beispiel bei Nikolaus Kopernikus. Er war Astronom, Mathematiker, Arzt und Priester. Vor 500 Jahren hat er gelebt, in Frauenburg in Nordpolen ist er gestorben, und dort hat man ihn vergangenen Samstag feierlich neu bestattet, und zwar unter einem Altar im rechten Seitenschiff der Kathedrale. Seine Gebeine waren 2005 in der Kathedrale in einem namenlosen Grab gefunden und drei Jahre später durch einen Gentest identifiziert worden. Irgendwie passt es, dass er mit dieser neuen Methode identifiziert werden konnte, besteht doch sein Verdienst in einer neuen Sicht der Welt. Gleich nach seinem Tod 1543 erhielt er kein feierliches Begräbnis an prominenter Stelle. Was er herausgefunden hatte, war beängstigend und durfte eigentlich gar nicht sein. Nikolaus Kopernikus hat die Gestirne beobachtet, und die Ergebnisse stimmten nicht mit dem bisherigen Weltsystem überein. Nach seinen Beobachtungen konnte es nicht sein, dass alles um die Erde kreist. Nicht die Erde bildet das Zentrum der Planeten, vielmehr bewegen sich alle Planeten - einschließlich der Erde - um die Sonne. Anfangs hat Kopernikus nur wenigen Leuten von seinen Ergebnissen berichtet, denn er fürchtete den Spott der Fachwelt. In höchsten kirchlichen Kreisen wurde sein Werk zunächst geschätzt, weil es für die Kalenderberechnungen nützlich war. Erst allmählich hat man hier theologischen Sprengstoff entdeckt. Nicht mehr die Erde, nicht mehr der Mensch steht im Mittelpunkt von allem, sondern die Sonne.
Kopernikanische Wende - das ist heute noch ein Begriff für eine umwälzende Veränderung - da wird etwas völlig neu gesehen.
Mich beeindruckt, dass wir Menschen zu solchen geistigen Entwicklungen fähig sind. Daß neue Methoden des Erkennens uns zu einer neuen Weltsicht führen können. Daß aufmerksames Beobachten tatsächlich eine bisher gültige Ansicht knacken kann. Daß wir neues Erkennen über jahrhundertealte Auffassungen setzen können. Es gibt einige Bereiche, in denen wir eine kopernikanische Wende vertragen könnten, z.B. in der Friedens- und der Umweltpolitik. Ich wünsche mir Mut, wie Kopernikus ihn bewiesen hat: Mut, realistisch zu sein, überholte Auffassungen zu revidieren und buchstäblich den eigenen Standort neu zu sehen. Auch wenn man vielleicht einen langen Atem braucht. Kopernikus hat immerhin nach 500 Jahren jetzt sein ehrenvolles Begräbnis bekommen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8357
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