SWR3 Gedanken

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„Die Menschen werden geboren, die Menschen sterben, und die Zeit dazwischen verbringen sie mit dem Tragen von Digitaluhren", meint der  britische Schriftsteller Douglas Adams. Und bringt damit mein Leben auf den Punkt. Und das von Millionen anderer Menschen vermutlich auch, deren Zeit durch die Uhr diktiert wird.

Wer unter dem Diktat der Zeit den Hauch der Ewigkeit vermisst, der möge nach Halberstadt im Harz reisen. Denn dort gibt es die Burchardi-Kirche aus dem 11. Jahrhundert. Und dort erklingt an der Orgel ein Musikstück des Komponisten John Cage aus dem 20. Jahrhundert. Das allerdings erst im 27. Jahrhundert beendet sein wird. Genauer gesagt im Jahr 2639.

 „As slow as possible" heißt die Komposition von John Cage. So langsam wie möglich soll die Musik erklingen. Deshalb wurde die achtseitige Partitur auf 639 Jahre hochgerechnet. Der offizielle Beginn war für das Jahr 2000 vorgesehen. Der erste Wechsel von einem Klang auf einen anderen fand im Juli 2004 statt. Für den 5. Juli 2010 ist ein weiterer Tonwechsel geplant. Und den letzten neuen Akkord im Jahr 2639 werde ich sicherlich nicht mehr erleben.

Ein Musikstück, das für 25 Generationen konzipiert ist. Und damit auf seine Weise zum Ausdruck bringt, wie relativ doch Zeit ist. Auch meine. Schon wieder zehn Minuten zu spät im Kindergarten. Mit hängender Zunge beim nächsten Termin eingelaufen. Keine Zeit fürs Mittagessen. Mein Leben ist eher: As fast as possible. So schnell wie möglich.

Vielleicht werde ich nach Halberstadt fahren. In diesem Jahr oder im nächsten, wo ein neuer Tonwechsel ansteht. Nur um ein anderes Gefühl für Zeit zu bekommen. Und dafür, wie unwichtig manche Dinge im Angesicht von 25 Generationen sind. Oder werden meine Ur-ur-ur-ur-und-so-weiter-Enkel wirklich danach fragen, ob ich es am 21. Mai 2010 noch geschafft habe, die Wäsche zu bügeln?

As slow as possible. So langsam wie möglich. In meinem Alltag werde ich das nicht schaffen. Aber ab und an ein bisschen mehr „As slow as possible", das wäre schon drin. Damit eben nicht die Digitaluhr Herrin über meine Zeit ist, sondern ich selbst.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8282
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