Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Immer wieder fallen sie in den Fußgängerzonen auf: Obdachlose Menschen, die auf dem Boden sitzen, und dann liegt neben ihnen noch ein mehr oder weniger großer Hund. Früher dachte ich bei diesem Anblick manchmal: „Dieser arme Mensch hat doch ohnehin nicht genug Geld für seinen eigenen Lebensunterhalt! Das Geld für den Hund könnte er doch viel besser für sich selbst verwenden!“ Doch eines Tages ließ ich mir von einem Obdachlosen erklären, warum er mit einem Hund auf der Straße lebt. „Hunde“ so sagte mir der Mann, „beurteilen den Menschen nicht nach Aussehen, Lebensstandard und gesellschaftlichem Erfolg. Sie folgen dem, der es gut mit ihnen meint und ihre Zuneigung erwidert. Da nimmt man auch schon mal die Nachteile in Kauf, die mit der Hundehaltung auf der Straße verbunden sind.“ Der Mann hatte vollkommen Recht. Sein Argument leuchtete mir auf Anhieb ein. Mir wurde klar, dass ich nur auf das Materielle geachtet hatte. Doch auch ein Obdachloser braucht zum Leben nicht nur Essen und Trinken. Er braucht - wie jeder andere Mensch auch - die Erfahrung von Freundschaft und Treue. Das vergisst man schnell, weil dieses Bedürfnis nicht wie die materielle Not sofort ins Auge springt. Vielen Menschen ohne Wohnung wird ein Hund zum treuen Freund. Und wie wichtig ihnen diese Freundschaft ist, zeigt sich daran, dass sie dafür Nachteile in Kauf nehmen, etwa die Kosten oder dass sie wegen des Hundes in keinem Übernachtungsheim aufgenommen werden. Gerade für Menschen ohne Wohnung ist es lebensnotwendig, zu erfahren, dass sie jemand durch dick und dünn begleitet. Oft werden sie wegen ihres Aussehens abschätzig betrachtet oder sogar voller Abscheu gemieden. Hauptsache: der Mensch hat zu Essen und zu Trinken – das reicht einfach nicht. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, könnte man mit einem bekannten Bibelwort sagen. Ohne Freundschaft und Treue kann kein Mensch leben – ob mit oder ohne Wohnung.

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