Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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das damals eine Sensation. Weißer Rauch steigt aus dem Vatikan. Und dann tritt er auf den Balkon am Petersplatz: Joseph Ratzinger. Der erste deutschstämmige Papst seit fast 500 Jahren. »Wir sind Papst« titelt eine Zeitung und viele Deutsche haben tatsächlich dieses Papst-Gefühl.
Und es stellen sich Hoffnungen ein. Dass dieser Papst etwas bewegen kann. Zum Beispiel in Sachen Ökumene. Schließlich kommt Benedikt aus dem Land Martin Luthers. Oder dass viele alte Zöpfe in der Kirche endlich abgeschnitten werden. Schließlich gehört Ratzinger zu den bekanntesten Theologen in Deutschland.
Seit fünf Jahren steht Benedikt XVI. als 263. Nachfolger des Petrus der römisch-katholischen Kirche vor. Und ernüchtert stellen viele fest: Der weiße Rauch aus dem Vatikan ist schon lange verweht und mit ihm viele Hoffnungen. Selbst für viele Katholiken steht Benedikt XVI. für einen problematischen Kirchenkurs. Nach dem weltoffenen polnischen Papst Johannes Paul II. wirkt Benedikt seltsam distanziert. Die Kirche scheint sich unter ihm abzuschotten. Von einer Auseinandersetzung mit der Welt ist nicht viel zu spüren. Statt den Glauben mit einer modernen Welt zusammenzubringen, wird der alten tridentinischen Messe Platz gemacht. Statt Dialog mit Konfessionen und Religionen sorgt der Papst für Konflikte mit Protestanten und Muslimen. Und schließlich hinterlässt der Missbrauchsskandal in der Kirche seine Spuren auch bei Joseph Ratzinger. Sogar unter den Katholiken vertrauen nur noch ein gutes Drittel dem Papst.
Von »Wir sind Papst« ist nach fünf Jahren Benedikt nicht mehr viel zu spüren. Manche mögen das bedauern. Ich finde das gut. Endlich lässt sich nüchtern über Papst und Papstamt sprechen. Der Papst ist nicht automatisch ein Heiliger. Und sein Amt macht aus einem Menschen noch lange keinen Gott. Der Papst, das lernen wir gerade durch diesen deutschen Papst, ist eben auch nur ein Mensch. Ein Mensch mit Stärken und Schwächen, ein Mensch, der viel leistet, aber sich eben auch Fehler leistet. Und dadurch wird, das hoffe ich, auch wieder der Blick frei auf das, worum es eigentlich geht, wenn wir über Papst und Kirche sprechen. Eigentlich geht es um den Glauben. Und die Frage, wie ich selbst diesen Glauben leben kann. Wie ich dieser unglaublichen Botschaft des Jesus von Nazareth eine Gestalt geben kann, der Botschaft, dass Gott den Menschen nahe ist. Das kann mir kein Papst abnehmen. Sondern ich selbst bin da gefordert.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8107
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