SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Unser Leben fährt schnell dahin - als flögen wir davon...“, heißt es in Psalm 90. „Unser Leben fährt schnell dahin...“ - intensiv zu erleben in einer Zeit umfassender Beschleunigung. Alles soll schnell gehen: schnell viel herstellen - schnell viel erleben. Das ist ein Kennzeichen unserer industriellen Zivilisation.
Einen musikalischen Gegenentwurf hat der 1992 verstorbene Komponist John Cage konzipiert. „So langsam wie möglich“ – „As slow as possible“ – heißt seine 1987 für Orgel verfasste Komposition. Cage will mit der Tempovorschrift „So langsam wie möglich“ aufhalten. Er will eine andere Zeiterfahrung zurückgewinnen. Doch wie langsam ist „So langsam wie möglich”?
An der Orgel der Halberstädter Kirche wird Cage´ Werk mittlerweile seit fünf Jahren aufgeführt – am Anfang hat es eine Pause von eineinhalb Jahren. Der erste Akkord, der zweieinhalb Jahre später erklang, bestand aus drei Tönen. Im Juli 2004 kamen zwei weitere Töne dazu. Die Tasten sind mit Sandsäcken fixiert, weil kein Organist sie Tag und Nacht drücken könnte. Das Stück ist auf 639 Jahre angelegt - die Aufführung soll im Herbst 2640 enden.
Mich fasziniert Cage´ Komposition. Sie ist eine drastische Zivilisationskritik. Doch zugleich macht mich die Halberstädter Aufführung stutzig. Ist es Menschen angemessen, ja Menschen möglich, ein Musikstück 639 Jahre lang zu inszenieren? Oder wird hier mit Zeitdimensionen gespielt, die sich menschlichem Erleben schlicht entziehen?
„Unser Leben fährt schnell dahin, als flögen wir davon.“
Der erwähnte Psalm 90 stellt diese Erfahrung an anderer Stelle in einen großen Rahmen, bettet sie ein in eine ganz andere „Zeit“. Es heißt da: „Tausend Jahre sind vor DIR, Gott, wie der eine Tag, der gestern vergangen ist.“ Gottes Zeit und die Zeit, die wir Menschen erleben und durchleben, sind offenbar mehr als nur quantitativ verschieden.
Unsere Lebenszeiten – ob temporeich oder entschleunigt - bezogen auf die Ewigkeiten Gottes – vergehen sie wie im Fluge.
Ich mag meine begrenzte Lebenszeit leben – im Wissen darum, dass sie in Gottes Händen liegt. Mich tröstet diese Vorstellung. Und diese Grenze zu überschreiten, reizt mich nicht.
Dazu passt auch, dass zwei Musiker mittlerweile das werk von Cage Werk in 45 min Länge eingespielt haben – als CD erhältlich.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=81
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