SWR2 Wort zum Tag

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In den letzten Monaten gab's täglich neue Nachrichten über den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Katholischen Kirche. Die Berichte haben viele schockiert, mich auch. Alles kam auf den Tisch: Von der Ohrfeige bis hin zu sexuellem Missbrauch. Katholische Priester und Ordensmänner haben dabei oft ihre Stellung genutzt, Kinder und Jugendliche zu demütigen, zu verletzen und zu missbrauchen. Und bei vielen Menschen steigen jetzt eigene Erinnerungen an die Kindheit hoch. Ich hab mich selbst daran erinnert, dass der Pastor meiner Heimatgemeinde im Religionsunterricht regelmäßig Kopfnüsse verteilte. Heute undenkbar, damals normal.
Noch viel schlimmer ist das bei den zahlreichen Fällen sexuellen Missbrauchs, die es gegeben hat und gibt. Fälle, die mich sprachlos machen und auch beschämen. Schließlich gehöre ich selbst zu dieser Kirche. Und ich muss feststellen, dass es kirchliche Strukturen gibt, die lange Zeit den sexuellen Missbrauch und das Schweigen darüber begünstigt haben. Das finde ich umso beschämender. Sicher: In den letzten Jahren hat sich die Katholische Kirche aufgemacht, dagegen anzugehen, hat Richtlinien erlassen und sich vehement gegen Missbrauch eingesetzt. Aber die vielen Geschichten der Opfer, die wir lesen und hören können, sprechen eine deutliche Sprache: Jahrzehntelang hat die Kirche die Opfer alleine gelassen, hat ihnen nicht geglaubt oder sie abgewiesen, und sie hat sexuellen Missbrauch ignoriert, beschönigt oder verschwiegen.
Jetzt kommt, hoffentlich, die Zeit der ehrlichen Auseinandersetzung mit dem Thema „sexueller Missbrauch". Und das ist ein schmerzlicher Prozess. Für die Kirche - aber dann auch für die gesamte Gesellschaft. Weil eben sexueller Missbrauch ein Thema der gesamten Gesellschaft ist. Doch für die Kirche steht mehr auf dem Spiel. Für die Kirche steht in dieser Auseinandersetzung nämlich alles auf dem Spiel. Ihr Fundament, der christliche Glaube. Die Kirchen sind in der Gegenwart nie müde geworden, zu betonen: Das christliche Menschenbild wird getragen von der Vorstellung, dass Gott alle Menschen gleich schafft, gleichwertig und gleichrangig. Niemand erhält einen Vorzug. Und niemand darf benachteiligt und unterdrückt werden - erst recht nicht gequält und gedemütigt. Jeder Missbrauch, der geschehen ist, stellt diesen Glauben in Frage. Und  jeder Versuch, Missbrauch zu decken, die Täter zu schützen, ebenfalls. Die Kirche wird also unmissverständlich deutlich machen müssen, wie sie zu ihrem eigenen Glauben, ihrem Fundament steht. Und zwar dadurch, wie die Verantwortlichen mit Missbrauchsopfern umgehen. Wie sie ihnen zuhört und ihnen zur Seite steht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8058
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