Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Tod und Sterben ist schon lange kein Tabu-Thema mehr, lese ich in einer Zeitschrift für Psychologie. Über Tod und Serben redet man sogar in Talkshows. Heute gibt es ein anderes Tabu: und zwar ohnmächtig sein und leiden.
Es darf nicht gelitten werden.
Gesunde sind manchmal schnell dabei, keinen Sinn mehr in ihrem Leben zu sehen, wenn sie an ein längeres Leiden denken. Aber wenn die Gesundheit dann wirklich was abkriegt, sieht das schon ganz anders aus. Dann ist das Leben plötzlich doch noch lebenswert, auch wenn man - etwa nach einer schweren Verletzung - nie mehr Fußball spielen kann.
Selbst mit einer schweren Behinderung lernen viele Menschen zu leben. Und sind mitunter ganz fröhlich dabei.
Nicht selten sieht Leiden von außen schlimmer aus, als es sich von innen anfühlt. Das weiß ich aus eigener Erfahrung:
Vor einigen Jahren hatte ich große Probleme mit meinen Augen; ständig waren sie entzündet, verschwollen und juckten. Ich sah grauenhaft aus und wusste mir kaum mehr zu helfen. Bis mir ein Arzt sagte: Das kommt vom Licht. Von da an lief ich nur noch mit einer lichtdichten Sonnenbrille rum - und die Entzündung war weg. Zwei Jahre ging das so.
Für meine Mitmenschen war die Sonnenbrille viel schlimmer, als die Entzün-dung. Noch heute werde ich darauf angesprochen.
Ich sah ja auch schrecklich aus, wenn ich da mit meiner monströsen Sonnen-brille eine Beerdigung gehalten habe, vorne drauf noch die kleine Lesebrille... Das muss ja furchtbar sein, haben die Leute gedacht. Für mich selber war das gar nicht so schlimm, nur eben ganz schön lästig.
Meine Gemeinde hat mir damals sehr geholfen: geduldig haben sie die Leute von außerhalb aufgeklärt, wenn die sich über meinen Aufzug wunderten.
Und immer wieder sagten sie zu mir: Wir sind ja froh, dass Sie noch arbeiten. Oder: Wir beten für Sie. 
Damals habe ich am eigenen Leib erfahren: es hilft, wenn man ein Leid nicht tabuisiert, sondern darüber redet. Was ist das? Woher kommt das? Kann ich helfen? Oder einfach nur: „Mich beeindruckt das, wie Sie das aushalten."

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