SWR2 Wort zum Tag

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„Wer seid ihr, wunderbares Geheimnis, was tragt ihr in euch?“ so fragt der polnische Kinderarzt und Waisenhausvater Janusz Korczak in seinem Buch „Wie liebt man ein Kind?“ „Wunderbares Geheimnis“ - Ich finde das passt zu Kindern: denn sie haben viel mehr noch als wir Erwachsene etwas, das sich nicht fassen lässt, weder mit Händen noch mit Begriffen. Etwas das erst mal da ist, nicht von außerhalb hervorgebracht, etwas, das wir achten müssen, das ganz neu ist, manchmal auch fremd. Korczak geht deshalb noch einen Schritt weiter, vom Achten zum Lernen: “Werden wir neugierig zu ergründen, was sich hinter diesem Geheimnis verbirgt? Wollen wir Lernende sein, die sich von dem Kind an die Hand nehmen lassen, um Einblick in seine Welt nehmen zu dürfen? (vgl. S. Tschöpe-Scheffler, Würde des Kindes. In: B. Dorst u.a. Hgg., Würde. Eine psycholog. und soziale Herausforderung, Patmos 2009, 172)
Von Kindern, besser noch mit Kindern lernen. Das ist eine Herausforderung. Ich als Erwachsene weiß noch nicht alles. Nicht ich habe ein Konzept wie Leben geht und versuche mehr oder weniger trickreich das Kind dahin einzuspuren. Sondern mit diesem neuen Leben entsteht Lebenssinn neu. Im Dialog mit denen, die schon leben.
Aber ist das nicht hoffnungslos romantisch? Kinder sind anstrengend. Kinder brauchen Fürsorge, jetzt und für später. Wir müssen sie vor Gefahren schützen und ihnen helfen, lebenstüchtig zu werden.
Korczak hat drei Grundrechte für Kinder formuliert, und die klingen ganz anders. Vor allem das erste. Er fordert nämlich das Recht des Kindes auf den Tod. (ebda 175)
Diese Forderung schockiert mich immer wieder. Wie kann man das Recht des Kindes auf den Tod fordern? Das Kind lebt doch gerade erst! Und dann sind mir Kinder eingefallen, die mutig und unternehmungslustig klettern und balancieren, und andere, die von sehr vorsichtigen Eltern immer wieder ermahnt werden und sich viel weniger trauen. Ich glaube, was Korczak meint, ist: zum Leben gehört Wagnis, zum Leben gehört Risiko. Kinder haben das Recht, auch damit Erfahrungen zu machen, auch darin Eigenverantwortung zu lernen. Mit zuviel Angst und Vorsichtsmaßnahmen versperren wir Kindern das Leben.
Janusz Korczak musste den Tod von Kindern erleben, die ihm anvertraut waren, und er ist bei den Kindern geblieben. Zunächst im Warschauer Ghetto, in das sein Waisenhaus verlegt wurde, und dann bis nach Treblinka. Beobachter berichteten, dass die Kinder mit Würde und gefasst ihren letzten Weg gegangen sind.
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