Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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In meinem Amtszimmer hängt ein Spiegel. Er hat die Form eines Kreuzes. Manch einer hat da schon reingeschaut und war irritiert: Mein Gesicht in einem Kreuz an der Wand? Eine Frau wollte, dass ich das Kreuz wegräume. „Ich kann es nicht ertragen, mich in diesem Kreuz zu spiegeln. Mich erinnert das Kreuz nur an Leiden und Tod! Schrecklich.“

Ich kann sie gut verstehen und sie hat ja Recht. Das Kreuz steht für Leiden und Sterben. Immer wieder fordern deswegen Menschen, dass das Kreuz in öffentlichen Räumen abgehängt werden soll. Müssen denn Schulkinder oder Gerichtsbesucher ständig an diesen schrecklichen Tod erinnert werden? Und überhaupt- Sollte sich die Kirche mit ihren Symbolen nicht mehr ins Private zurückziehen?

Und wenn ich mich dann auch noch in diesem Kreuz spiegeln kann - wie bei dem Spiegel in meinem Amtszimmer - ist das nicht noch eine größere Zumutung? So direkt an den eigenen Tod erinnert zu werden?

Und doch – das Sterben gehört zum Leben dazu. Und in Frieden leben kann ich nur, wenn auch die Schattenseiten meines Lebens sein dürfen. Und deshalb habe ich das Spiegelkreuz in meinem Zimmer aufgehängt.
Das Kreuz erinnert daran, dass Jesus dem Leiden nicht ausgewichen ist, dass man ihn an so ein Kreuz geschlagen hat, dass er dort sogar gestorben ist. Schrecklich und grausam. Aber das war nicht das Ende. Gott hat ihn vom Tod auferweckt – das feiern wir an Ostern. Das Leben ist stärker als der Tod. Und das können wir auch heute erleben.

So bin ich mit der Frau ins Gespräch gekommen, die das Kreuz in meinem Zimmer weghaben wollte. Sie hat mir von ihrer Angst erzählt. Angst vor dem Sterben. Und ich sagte zu ihr: Doch genau deswegen ist Jesus damals nicht nur für sich allein gestorben. Er starb für uns, damit wir leben.
Das Spiegelkreuz in meinem Büro erinnert daran: Ich bin nicht allein, wenn ich sterbe. Und so steht das Kreuz nicht nur für das Leiden und Sterben. Das Kreuz ist auch ein Symbol für die Nähe Gottes und vor allem für das Leben. Und deswegen spiegele ich mich gerne darin.

Das Spiegelkreuz hängt immer noch an der Wand. Und die Besucherin schaute auch ein paar Wochen später noch einmal rein – sie blickte in das Kreuz und lächelte.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=7888
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