Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Kein Weihwasser wegen Infektionsgefahr.“ Das stand auf dem Zettel im leeren Weih-wasserbecken am Kircheneingang. Normalerweise tauchen viele Gottesdienstbesucher hier die Finger in geweihtes Wasser und schlagen ein Kreuzzeichen. Doch jetzt war das Becken leer – wegen Infektionsgefahr. Viele Kirchenbesucher stutzten, tauchten die Hand eben nicht ins Becken und gingen in die Bank. In Zeiten von Schweine-, Vogel- und sons-tigen Grippen scheint eine solche Maßnahme ja durchaus vernünftig. Schließlich hängt der Gottesdienst nicht am Weihwasser.
Ein Mann aber blieb am Becken stehen und sagte laut und vernehmlich: „Seit wann ha-ben wir denn Angst vor Ansteckung?“
Diese Bemerkung machte mich stutzig. Haben die Schwestern von Mutter Theresa Angst vor Ansteckung, wenn sie die Kranken von den Straßen Kalkuttas holen? Hatten die Hel-fer in Haiti Angst vor Ansteckung, als sie Verletzte retteten und Tote begruben?
Nun kann man einwenden, beim Weihwasser gehe es nur um einen liturgischen Brauch, während es in Haiti und Kalkutta um lebensnotwendige Hilfe geht, die ein vernünftiges Risiko wert ist. Aber es geht mir gar nicht um Risiko und Vernunft. Wenn ich nicht einmal bereit bin, mit einem Kranken die Hand ins gleiche Wasser zu tauchen – welches Signal gebe ich ihm? Wird er das Gefühl haben, dazu zu gehören, willkommenes Mitglied der christlichen Gemeinde zu sein? Oder wird er erleben müssen, dass in der Kirche - wie überall - die Gesunden lieber unter sich bleiben?
Der ganze christliche Glaube lebt davon, dass Gott keine Angst vor Ansteckung hatte, sondern sich in Christus von dem ganzen Elend der Menschen anstecken ließ. Aber nicht Gott wurde davon krank, sondern die kranken, armen, schuldigen Menschen wurden da-von gesund. In den christlichen Gemeinden sollen sich deshalb die Menschen untereinan-der anstecken – mit ihrem Glauben, ihrer Zuversicht und ihrer Hoffnung. Vor solcher An-steckung brauchen wir uns nicht zu fürchten.
Wenn ich die Finger ins Weihwasser tauche, ist das für mich ein Zeichen für diese Ge-meinschaft und diesen Glauben. Deshalb wünsche ich mir auch in Grippezeiten gefüllte Weihwasserbecken. Und wer will, kann die Hand eintauchen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=7867
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