Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Man soll keine Maske tragen, sondern sein wahres Ich zeigen. Das ist der durchgängige Rat aller Briefkastenonkel und Berater in den einschlägigen Zeitschriften. Nur wer offen und ehrlich kommuniziert, kann hoffen verstanden zu werden und hat Anspruch, von seinem Gesprächs-partner ernst genommen zu werden. Wer sich hinter Rollen und Masken versteckt, darf sich nicht wundern, dass es zu Missverständnissen kommt. Wer immer den Coolen spielt und sich hinter der Maske des Unerschütterlichen verbirgt, darf nicht überrascht sein, wenn ihn nie-mand versteht und niemand hilft, wenn er einmal schwach ist.
Ja, das mag alles richtig sein und taugt wohl auch für den grauen Alltag. Aber heute gilt das nicht. Heute nicht und morgen nicht und übermorgen auch nicht. Denn jetzt ist Fastnacht, und jeder hat das Recht, bis kommenden Dienstag eine Maske zu tragen und in eine Rolle zu schlüpfen, die ihm gefällt. Ein wenig rote und weiße Schminke und ich verwandle mich in einen Clown, von dem alle Alltags-Korrektheit abfällt und der seinen Spaß hat und seinen Spaß macht.
Natürlich kann man gut gelaunt und froh auch ohne Maskerade sein. Aber die Übertreibung an Fastnacht, mit Kostüm und Schminke, macht etwas deutlich, was sonst leicht vergessen wird: Immer korrekt sein zu wollen, immer offen und ehrlich, nie eine Maske tragen – eine solche Haltung kann selbst zur Maske und zur Rolle werden, die das wahre Ich mehr verdeckt als zu erkennen gibt. Da kann es regelrecht befreiend sein, an Fastnacht ganz bewusst eine Maske zu tragen und auf paradoxe Weise dem wahren Ich so eine Verschnaufpause hinter der Maske zu erlauben. Und eine Maske, die man sieht und erkennt, ist manchmal ehrlicher als bemühte Offenheit, die selbst zur Maske geworden ist.


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