SWR2 Wort zum Tag

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Vor einem Jahr, am Mittwoch, dem 11. März 2009, stürmte der 17jährige Tim seine ehemalige Schule, die Albertville-Realschule in Winnenden. Er erschoss dort und bei der sich anschließenden Flucht nach Wendlingen fünfzehn Menschen.
Die Wunden von damals sind noch nicht geschlossen, die Opfer nicht vergessen. Doch zum Gedenken gehört das Lernen. Der Opfer des Amoklaufs von Winnenden wird in unserer Gesellschaft nur würdig gedacht, wenn wir daraus auch Lehren ziehen.
Heute wird im baden-württembergischen Landtag der Schlussbericht einer eigens einberufenen Kommission beraten. Der Bericht wird zu Fragen des Waffenrechts, des Jugendmedienschutzes, zur Installation eines landeseinheitlichen Alarmierungssystems an Schulen und zum Ausbau des schulpsychologischen Dienstes Empfehlungen ausgeben.
Man kann diese Empfehlungen diskutieren, über sie streiten. Es ist die Art der Politik, auf die Bluttat von Winnenden zu reagieren. Doch Politiker sind nicht die einzigen, die zum Nachdenken und Handeln herausgefordert sind. Auch bei Lehrerinnen und Lehrern macht die Herausforderung nicht Halt. Am Ende geht es um Eltern, Familien, Mitschüler; es geht um die sozialen Beziehungen, in denen wir leben.
Das christliche Menschenbild legt uns nahe, den Menschen als Beziehungswesen zu verstehen, wobei das Beziehungsnetz, in das der Mensch gestellt ist, sowohl die Beziehung zu Gott als auch die Beziehung zum Mitmenschen, zum Nächsten, umfasst. Das meint beispielsweise die biblische Rede von der „Gottebenbildlichkeit“ des Menschen. Das meint das Doppelgebot der Liebe, etwas verkürzt: „Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.“
Legen wir diese Maßstäbe an, dann müssen wir nach dem Respekt fragen, den wir untereinander pflegen. Wie aufmerksam und sensibel gehen wir miteinander um? Welche Wertschätzung erfahren unsere Kinder und Jugendlichen durch uns? Wie viel Zeit haben wir, einander zuzuhören?
Wir müssen die Hierarchie der Werte neu ordnen: Internet, Handys und Geld spielen dann nur eine untergeordnete Rolle, anders als dies in unseren tatsächlichen Lebensvollzügen der Fall ist. Stattdessen rangieren Einfühlungsvermögen, Dialogfähigkeit und natürlich auch Vergebung ganz oben.
Das wird Katastrophen wie den Amoklauf von Winnenden nicht mit hundertprozentiger Sicherheit verhindern, aber es lässt uns der Verantwortung nachkommen, die wir als Menschen in Beziehungen, als soziale Wesen, ha-ben.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=7855
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