SWR2 Wort zum Tag

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In Mannheim gibt es eine Gaststätte, die heißt „Gasthaus zur letzten Träne“. Im Sommer kann man auch draußen sitzen, mit Blick auf den Hauptfriedhof, auf Bäume und auf die Friedhofsmauer. Eigentlich bewundernswert, ein Gasthaus so zu nennen, mal nicht „Weißer Schwan“ und auch nicht „ Goldne Sonne“. Sondern „Letzte Träne“. Das hört sich schon fast an wie ein Trost. Noch ein paar Tränen und dann ist ausgeweint. Weil alles seine Zeit. Weinen hat seine Zeit und Lachen hat seine Zeit. Oder zumindest: wieder einmal Lächeln.

Weinen hat seine Zeit. Und seinen Ort. Wer vom Friedhof kommt, der hat in der Regel geweint. Manche weinen einfach, weil sie jemand Liebes verloren haben und sich verlassen fühlen. Manche weinen und sind so traurig, so verbissen in ihren Schmerz, dass sie sich gar nicht trösten lassen wollen. Wie wenn sie ahnten: „Wenn ich jetzt noch meine Traurigkeit verliere, dann ist es ganz vorbei. Dann ist der, um den ich geweint habe, endgültig fort.“ Im Traurigsein hält man fest, worum man trauert. Weil es so weh tut, erinnert man sich immer daran. Man schaut darauf wie auf eine Wunde. Wenn erstmal die letzte Träne geweint ist, dann fängt man an, zu vergessen. Dann kommt noch die Zeit mit dem Nachgeschmack von dumpfer Traurigkeit. Aber die Hauptsache ist dann vorbei. Manche weinen einfach, weil so eine Trauerhalle der letzte Ort ist, an dem man hemmungslos die Tränen fließen lassen kann.
Beides hat seine Zeit: Traurig sein und die letzte Träne. Das Festhalten und das Loslassen. Das Weinen und das Lächeln.
Wenn die Trauerfeier vorüber ist, geht`s ins Gasthaus „Zur letzten Träne“. Da holt man das Tempo aus der Tasche und studiert die Speisekarte. Dann trinkt man einen Kaffee, isst ein Stück Kuchen und weiß: Das Leben muss weitergehen. Irgendwann ist ausgeweint. Irgendwann ist man wie vom eigenen Weinen getröstet.
Wer die letzte Träne geweint hat, dem geht es schon wieder besser. Der kann aufstehen, bezahlen und sich auf den Heimweg machen. Und aufatmen, wenn er sieht, dass auf dem Hauptfriedhof schon ein paar Krokusse auf den Gräber blühen. Und lächeln, wenn er hört, dass in den Bäumen schon wieder die Vögel zwitschern. Alles hat seine Zeit. Die erste und die letzte Träne. Weinen und Lachen.

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