SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Heute morgen gibt’s bei uns Brot. Wie jeden Morgen. Wie auf vielen anderen Frühstückstischen auch. Brot: ein gewöhnliches Lebensmittel, überall zu kriegen und in tausend Sorten zu haben. Doch obwohl Brot selbstverständlich ist, ist es doch mehr als nur ein Nahrungsmittel. Meine Eltern haben auf jedes Brot mit dem Finger ein Kreuz gezeichnet. Und dann erst angeschnitten. Brot, das sagt mir diese Geste, ist mehr als nur Nahrung. Brot ist ein Lebensmittel. Ein Mittel zum Leben. In einer Geschichte wird davon packend erzählt.
Als ihr Vater, ein bekannter Arzt, stirbt, lösen die Kinder seinen Haushalt auf. Im Arbeitszimmer findet sich in einem Schrank ein steinhartes, vertrocknetes Brot. Die Kinder können sich keinen Reim darauf machen. Aber die alte Haushälterin kennt die Geschichte des Brotes. Kurz nach dem Krieg wurde der Vater richtig krank. Alle rechneten mit seinem Tod. Da brachte ihm ein Freund ein halbes Brot. „Ich sterbe sowieso“, sagte der Vater und verschenkte das Brot an die Nachbarsfamilie. Aber die wollte das wertvolle Brot auch nicht für sich behalten. Da war doch die alte Frau, oben im Dachgeschoss. Die hatte Hunger. Die sollte das Brot haben. Doch auch die alte Frau reichte das Brot weiter – an ihre Tochter. Die lebte mit ihren Kindern in der Nähe und auch sie hatten in der Nachkriegszeit nichts zu essen. Aber die Tochter kannte den sterbenskranken Arzt. Er hatte ihrem Kind geholfen, als es selbst todkrank war. Der, da war sie sich sicher, brauchte das Brot am dringendsten. Und so trug sie das Brot wieder zurück zum Ausgangspunkt. Die Haushälterin erinnert sich: „Es war unser Brot. Unten drunter klebte noch das Schild vom Bäcker.“ Seitdem hat der Vater das Brot aufbewahrt. Ein ganz normales halbes Brot. Das aber durch viele Hände gegangen war, das viele satt gemacht hatte, ohne dass es angeschnitten wurde. Ein Brot, das viele gesund gemacht hat, geheilt hat, ohne gegessen zu werden. Und die Haushälterin erzählt den Kindern: „Für euren Vater war das Brot heilig, kostbar. Weil es von der Hoffnung erzählt. Der Hoffnung, dass es Menschen gibt, die füreinander da sind. Es war für euren Vater ein Brot voller Hoffnung. Deswegen hat er es nie angerührt.“
Morgen für Morgen esse ich Brot. Meistens beim Zeitungslesen oder während ich mit meiner Frau und den Kinder den Tag bespreche. Dass Brot aber mehr sein kann, als nur Nahrungsmittel, fällt mir selten ein. Heute morgen will ich es als ein Brot essen, das von Hoffnung erzählen kann.
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