SWR2 Wort zum Tag

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Was war das für ein Theologe. Fridolin Stier (* 20. Januar 1902 im Allgäu; + 2. März 1981 in Tübingen). Keiner, der sich von der alten theologischen Sprache abspeisen ließ. Einer, der bis zu seinem Tod auf der Suche nach Gott war. Und sich nie sicher war über diesen Gott. Ob’s Gott gibt. Wie er ist. Was er sagt. Friedolin Stier war jemand, der mit Gott gerungen hat. Der nicht loskam von ihm. Das Fragen und die Suche nach Gott hat Stier nie aufgegeben. Heute, vor 29 Jahren, starb er in Tübingen.
Vor allem sein Tagebuch »Vielleicht ist irgendwo Tag« fasziniert mich bis heute. Weil es einen unglaublich wachen Menschen zeigt. Einen Menschen, der mit der Welt und mit dem Glauben nie zu Rande und nie an ein Ende kommt. Stiers Glaube ist ein Kampf mit dem Zweifel. Und er steht zu diesem Zweifel. Geht produktiv damit um. Er klopft die biblischen Texte und die frommen theologischen Traktate immer wieder und immer neu ab. Was sagen sie mir? Passen sie überhaupt zu meinem Alltag? Wie lässt sich angesichts der modernen Welt Gott überhaupt verstehen? Stier buchstabiert den Glauben nicht von ungefähr als Unterwegs-sein aus. Er schreibt: „…ich bin nämlich nirgendwo zu Hause, ich bin unterwegs … ich gehöre zum wandernden Volk, mein Land ist die Wüste, die Schakale der Wissenschaft heulen in der Nacht um mein Lager, … die Eulen der Absurdität huschen über mich hin und künden den Tod und das Nichts in die Nacht.“ (135)
Das wandernde Volk. Ein starkes Bild. Stier vergleicht sich, sein Leben, seine Frage nach dem Glauben mit den Israeliten, die aus Ägypten ziehen. Und die dann vierzig Jahre in der Wüste unterwegs sind. Und sich immer wieder fragen: Ist Gott überhaupt noch da? Hält er zu uns? Begleitet er uns?
Stiers Wüste ist die Gegenwart. Sind die Fragen der Naturwissenschaft. Sind die vielen absurden, tragischen Lebensmomente, die das moderne Leben prägen. Er nimmt die Frage ernst, ob es überhaupt sinnvoll ist, an einen Gott zu glauben, wenn Menschen sterben müssen, wenn das Universum immer mehr entzaubert wird. „Theologie im Vorhof“ (347) hat Stier dieses Ringen mit Gott und dem Glauben genannt. Zu Recht. Seine Theologie findet nicht drinnen im Tempel, im Heiligtum, in der Kirche statt, sondern davor. In der Welt, diesem Vorhof des Glaubens. Kein gemütlicher Ort: Da zieht es, da geht nicht immer alles glatt auf, da gibt es mehr Fragen als Antworten. Kein Ort also zum Wohlfühlen. Aber vielleicht der einzig glaubwürdige Ort für den Glauben heute.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=7812
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