SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Inmitten der Geschäftigkeit, die unseren Alltag prägt, empfinde ich es als Geschenk und als Erholung, das Schweigen zu entdecken. Nichts reden, sich nicht erklären müssen, kei-nen Kommentar abgeben müssen – das kann sehr befreiend sein.
Der Schweizer Kulturphilosoph Max Picard hat dem Schweigen ein ganzes Buch gewid-met: „Die Welt des Schweigens“. Es ist 1947 geschrieben, aber es stecken Erfahrungen darin, die ich heute – sechzig Jahre später – teilen kann. Vom Wortgetöse unseres alltäg-lichen Lebens ist die Rede. Von der Informationsflut, die über uns hinweggespült wird. Vom Lärm der Maschinen. Vom ständigen „Wortgeräusch“, wie Picard es nennt: dem täg-lichen Redefluss an Belanglosigkeiten, die sich über uns ergießen, ohne dass wir noch zuhören könnten. Inmitten solcher Erfahrungen kann Schweigen zu einer Insel der Ruhe werden.
Schweigen kann eine Erholung für Geist, Seele und Leib sein. Die Chance des Schweigens liegt in der Unterbrechung der endlosen Kommunikationsketten, in und mit denen wir leben. Schweigen kann zur Pause, zum Sabbath unserer Worte und unseres Redens wer-den. So verstanden hat das Schweigen etwas von Müßiggang, von Selbstzweck. Sein Sinn liegt dann in ihm selbst.
Für Picard steht das Schweigen außerhalb der Welt des Nutzens. Man kann nichts mit ihm anfangen, es kommt im wahrsten Sinne des Wortes nichts heraus bei solchem Schweigen. Es ist unproduktiv. Gerade diese „heilige Nutzlosigkeit“ des Schweigens ist sein Wert.
Schweigen unterbricht den reibungslosen Ablauf der Zwecke und führt uns an den Ur-sprung zurück. An den Punkt, der vor allen Zwecksetzungen liegt. An einen Ort schöpferi-scher Vielfalt, wo ich ganz bei mir selbst, ganz für mich selbst da sein kann. Da ist noch nichts festgelegt, sondern alles im Werden. Solches Schweigen atmet den Geist der Frei-heit.
Wo kann dieses Schweigen entdeckt und gelernt werden? Beim Spaziergehen – allein. Im Fasten. Bei einer Retraite im Kloster. Ich muss jedoch nicht so weit reisen, um die Woh-nungen der Stille zu finden. Ein klassischer Ort des Schweigens ist das Gebet. Im Gebet verstumme ich nicht. Ich enthalte mich nicht der Worte, sondern gebe meine Worte Gott zurück. Wenn das Schweigen die Quelle meines Redens ist, aus der ich meine Worte schöpfe, so gebe ich sie im Gebet ins Schweigen zurück. Beten ist gemeinsames Schwei-gen mit Gott.
In solchem Schweigen liegt für mich die stärkste Kraft innerer Erneuerung. Ich werde be-reit, die Worte aufzugeben. Sie demjenigen zurückzugeben, von dem ich sie bekam, da-mit sie mir dann von ihm, von Gott, neu gegeben werden.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=78
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