SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Diese Woche in der Uni-Klinik, nach einem Besuch stehe ich noch ein wenig im Flur, genug, um viel zu sehen. Eine Frau kommt aus dem Arztzimmer, der fragende Blick ihres Partners, Tränen, eine unbeholfene Umarmung. Menschen mit Gehhilfen schleppen sich mühsam durch den Gang. Patienten warten bang auf ihren Termin.
Wie sehr wir daran leiden können, wenn es uns trifft, oder plötzlich das Liebste. Wenn der nächste Mensch krank wird, bedroht ist in seiner zerbrechlichen Schönheit, so wie jeder Mensch, ausnahmslos, es ist. Alles ist zerbrechlich, jede Sicherheit, jeder Schatz, jede Liebe...
„Hätte Gott das nicht anders machen können“, fragt mein Sohn. Ich sehe ihn an. „Nein, mein Schatz“, sage ich, „er wollte es wohl so. So zerbrechlich. So fragil. Und so schön.“
Und vielleicht spüren wir etwas von Gottes Liebe zu uns Menschen, wenn wir jemanden lieben, gerade so, wie er uns entgegentritt, zerbrechlich, gefährdet, und uns ängstigen um sein Leben.
Hätte er das nicht anders machen können? Ja, manchmal frage ich das auch, hätte er sich nicht bessere Werkzeuge auswählen können, perfekt und stark. Nicht so - schwach... nicht so - menschlich... Und ist seine Schöpferkraft nicht verschwendet in Wesen, die eine Krankheit verunstalten und töten, eine Enttäuschung niederdrücken kann? Manchmal denke ich: Ich möchte den Zauber bewahren, den Augenblick halten, das Glück bewahren, das Wunder einkasteln für mich. Doch das Wunder ist nicht für ewig. Es ist für den Moment, es ist für die Gegenwart. Leben geschieht: Jetzt!
Jetzt ist die Zeit der Gnade. Jetzt. Wann auch sonst?
Plötzlich entsteht gerade so eine ungeheure Stärke. Ich ahne, woran das liegen kann. Wenn ich nicht sichern, sondern die Zerbrechlichkeit zu leben wage, wenn ich mich nicht um das Glück sorgen, sondern es ausstrahlen mag, dann verwandelt sich meine Angst in Zuversicht. Wenn ich es wage, nicht perfekt, sondern arm, bedürftig, verwundet, und trotzdem gerade so lebendig zu sein, wenn ich es wage, im Jetzt zu leben trotz einer lähmenden Vergangenheit und einer beängstigenden Zukunft, dann verwandelt sich meine Schwäche in Stärke.
Hätte Gott das nicht anders machen können? Hätte er, wahrscheinlich schon, was sollte ihm unmöglich sein? Mag sein ich wäre, ohne Risse und unzerbrechlich, ohne Angst und Leid. Doch ich ahne: Ich wäre auch sehr starr. Und einsam. Doch wenn ich mit den Fingern die Zerbrechlichkeit meines Lebens nachziehe, dann führen mich diese Linien stets weiter zu anderen Menschen und zu Gott. https://www.kirche-im-swr.de/?m=7791
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