SWR2 Wort zum Tag

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Abisha ist 13 Jahre alt. Das Dorf an der Südwestküste Indiens, in dem sie zu Hause war, wurde vor fünf Jahren durch den Tsunami verwüstet. Mehr als 400 Menschen sind allein dort ums Leben gekommen. Auch ihr kleiner Bruder wurde ins Meer hinaus gerissen. Abisha selbst wurde gerettet, weil ein Nachbar sie in letzter Minute an einem Baum festgebunden hatte.
Heute lebt Abisha in einer Siedlung, welche die Caritas für 370 Fischerfamilien gebaut hat, die durch den Tsunami obdachlos geworden waren. Ich habe Abisha dort bei einer Sitzung des Kinderparlaments kennen gelernt, dessen Schriftführerin sie ist. Präsident ist der 14-jährige Visjai, auch er ein Überlebender des Tsunami – ebenso wie die anderen 20 jungen Leute, die jetzt Verantwortung in dem neuen Gemeinwesen übernehmen wollen. Sie kümmern sich vor allem um Probleme, die die Kinder betreffen. So haben sie sich etwa beim Bürgermeister dafür eingesetzt, dass nachts die Straßen beleuchtet werden, denn in der Dunkelheit sind Kinder verunglückt oder von Hunden angefallen worden. Auch wegen des schlechten Wassers haben sie interveniert. Von der braunen Brühe waren oft Kleinkinder krank geworden. Die jungen Parlamentarier hatten Erfolg. Heute gibt es Straßenlaternen, und das Trinkwasser ist genießbar. Abisha, Visjai und ihre Freunde suchen auch Schulschwänzer auf. „Andere Kinder“, so machen sie ihnen klar, „wären froh, wenn sie eine Schule besuchen könnten. Und euch ist das einfach egal.“ Schulbildung, das wissen sie, ist die einzige Chance, einmal aus der Armut heraus zu kommen.
Die Caritas wollte nicht nur die äußeren Folgen der Katastrophe beseitigen, durch neue Häuser oder neue Fischerboote. Sie wollte den Menschen vor allem neue Lebensperspektiven eröffnen. Die Arbeit im Kinderparlament etwa hilft den jungen Leuten auch, mit ihren seelischen Verwundungen umzugehen. Die geräumigen Häuser bieten mehr Wohnraum als die alten beengten Fischerhütten und wirken so der Gewalt in den Familien entgegen. Mit einem biologischen Klärsystem wird das Abwasser vollständig wieder aufbereitet. Und weil die Fischerei die Menschen auf die Dauer nicht mehr ernähren kann, können die Jugendlichen andere Berufe lernen.
Die Begegnung mit Abisha, Visjai und ihren Freunden hat mich sehr berührt. Sie hat mir gezeigt, dass auch im Unglück Hoffnung möglich ist. Diese Kinder haben mir auch gezeigt, wie viel Lebensmut in jungen Menschen steckt, wenn ihnen Raum dafür gegeben wird. Auf die Frage, was sie einmal werden will, sagt Abisha spontan: „Bürgermeister.“ Sie hat ein gutes Gespür dafür bekommen, was Menschen brauchen. Und sie hat auch gelernt, wie man es erreichen kann.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=7716
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