SWR4 Abendgedanken RP

SWR4 Abendgedanken RP

In Jugenheim in Rheinhessen, einem kleinen 1500 – Seelendorf nahezu ohne Geschäfte, gibt es seit einigen Monaten wieder einen Einkaufsmarkt, einen so genannten Cap-Markt. Hier arbeiten Menschen mit einem HandyCAP mit, Mitarbeiter mit einer Behinderung. Dieser CAP Markt bietet für die Einwohner dieses Dorfes und einiger Nachbardörfer einen besonde-ren Service: nicht nur Lebensmittel, auch Mittagessen, Kaffee und Kuchen werden in freund-licher Umgebung angeboten. Gelebte und erlebte Nächstenliebe in einem Dorf- darum geht es heute im Blickpunkt Kirche.

Teil 1
Der CAP Markt - der etwas andere Lebensmittelmarkt in Jugenheim in Rheinhessen Denn hier arbeiten Menschen mit Behinderung mit anderen Mitarbeitern zusammen. Für das Dorf ein Lebensmittelpunkt mit über 1600 Artikeln des täglichen Bedarfs. Außerdem ein Mittags-tisch und ein Café.

Margit Eckstein:
Da wir auch hier des Bistro haben mit Kaffee, Kaffeestückchen, die Leute sitzen dann gern, erzählen, trinken Kaffee, wir haben sehr viel, die ihr Mittagessen hier essen bei uns im Markt, die es gar net nach Hause holen, also das ist schon, ist schon toll.

Margit Eckstein ist Jugenheimerin und als Verkäuferin im Markt tätig. Sie sieht tagtäglich die Attraktivität des Marktes.
Und die Kunden sind begeistert, nach einer langen Zeit ohne Lebensmittelmarkt kann man im Dorf sich wieder selbst versorgen. Helmut Wolf ist einer der Kunden, die sich über den neuen Markt freuen. Was gefällt ihm?

Helmut Wolf:
Das er übersichtlicher ist ... Man kriegt das auch, wo man in großen Läden bekommt und derselbe Preis und brauch net wegzufahrn.

Eine Besucherin kommt sogar von weither zum Laden wegen der gemütlichen Dorfatmo-sphäre. Was hält sie vom Angebot, was hält sie davon dass hier behinderte Mitarbeiter mit pädagogisch geschulten Verkäuferinnen und Verkäufern zusammenarbeiten?

Christine Weyers meint:
Die Leute sind sehr nett, sehr freundlich, Preise sind auch in Ordnung und die haben auch vom Ort die Waren, also das heisst das Brot und die Wurscht, Wein und so und das find ich sehr gut ...Merkste gar net, die sind sehr freundlich, gar net, also wirklich gar net.

Ein neuer Lebensmittelpunkt für das Dorf mit einer zu Fuß erreichbaren Versorgungsmög-lichkeit für alle Einwohner. Wie kam es dazu? Vor einigen Jahren schon schloss der letzte Lebensmittelmarkt im Dorf, eine Bäckerei versorgte die Menschen mit dem nötigsten. Arzt, Apotheke, Schule, größere Einkaufsmöglichkeiten, sie gibt es erst einige Kilometer weiter in Nachbardörfern oder in der Landeshauptstadt Mainz.
Menschen ohne Auto sind aufgeschmissen, alte Menschen können nicht für jeden Einkauf, jeden Arzt- oder Behördenbesuch mit dem Bus in die Nachbardörfer oder zum Sitz der Ver-bandsgemeinde fahren. Die ortsnahe Versorgung war schwer und fast unmöglich. Da bot sich überraschend die neue Möglichkeit mit den CAP-Märkten.

Michael Plamann, der stellvertretende Leiter des Marktes berichtet:
Die CAP-Märkte sind dafür da, die Nahversorgung zu machen und es ist ein persönliches Gefühl, das Miteinander mit den Kunden ist schon sehr viel deutlicher, als wenn sie in einem großen anonymen Markt irgendwo in der Stadt arbeiten. Man kennt fast jeden, der hier rein-kommt.

Das Ladengebäude gehörte der Kommune Jugenheim, es wurde mietfrei zur Verfügung ge-stellt und jetzt ist der Laden sozusagen das Wunder von Jugenheim. Denn jetzt können alle zu Fuss wieder das Notwendige einkaufen.

Darauf ist Michael Plamann stolz:
Wir haben wirklich ganz viele Kunden, wir haben Leute, die kommen zwei Mal am Tag ... wir sind ein Dorfmittelpunkt zum Teil auch.

Aber wie funktioniert der Laden- und vor allem die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern mit einem HandyCap und denen ohne? Darüber mehr nach der Musik.

Teil 2
Das Ziel der Cap-Märkte ist es, Menschen mit Behinderungen einen Arbeitsplatz zu beschaf-fen, und zwar dauerhaft. Denn Behinderte haben mit dem in Anführungszeichen „normalen“ Arbeitsmarkt oft schmerzliche und verletzende Erfahrungen gemacht. Hier sollen sie direkt mit den Kunden zu tun haben und dabei so ganz nebenbei die Akzeptanz von benachteilig-ten Menschen verbessern helfen. Menschen mit Handycap ins Gemeindeleben zu integrie-ren ist für das Dorf auch wichtig. Denn hier gibt es seit Jahrzehnten eine Behinderteneinrich-tung der Niederramstädter Diakonie, die tagtäglich das Leben von zum Teil schwerstbehin-derten Menschen begleitet.

Was es heißt, wenn Behinderte und Nichtbehinderte zusammenarbeiten, weiß Michael Pla-mann, der stellvertretende Leiter des Marktes:
Die Beeinträchtigungen, die wir hier haben, sind ja sehr unterschiedlich und daher ist auch die Anforderung sehr verschieden. Man kann davon ausgehen, dass man jeden Tag neue Herausforderungen hat, das ist spannend, das ist eine interessante Tätigkeit.

Was sind die typischen Belastungen, die so ein integratives Modell für die nicht behinderten Mitarbeiter mit sich bringt? Dazu meint Michael Plamann, stellvertretender Leiter des Mark-tes:

Die Mitarbeiter lernen etwas, man gibt sich viel Mühe und investiert viel Energie daherein und hat das Gefühl, man hat einen guten Lernerfolg und zwei Tage später: „Hab ich noch nie was von gehört“ es ist einfach vergessen wieder. Das ist ein typisches Problem, was wir oft haben....Das ist etwas, woran man sich gewöhnen muss, also es ist eins von vielen.

Margit Eckstein ist Verkäuferin im Markt. Sie hat vorher noch nicht mit behinderten Men-schen zusammengearbeitet. Für sie ist das eine Herausforderung, der sie sich gern stellt.

Ja,man muss schon ab und zu mal bisschen mehr drauf schauen, was sie arbeiten, wie sie arbeiten, aber ansonsten ein wunderschönes Arbeiten, muss ich sagen.

Jennifer Klein gehört zu den Mitarbeiterinnen mit Handycap, das heißt, sie braucht Hilfe und Anleitung. Sie liebt ihren Arbeitsplatz, weil der ihr viele neue Kontakte zu Jugenheimer Mit-bürgern beschert. Und sie arbeitet gern mit den nicht behinderten Kollegen zusammen.

Super, also man kann nichts anderes sagen, es ist ein Verlass auf jeden, jeder einzelne auf den anderen und ein super Miteinander, also keiner, der gegen den anderen geht oder hintenherum, so was überhaupt nicht, ... jeder hilft dem anderen, egal, was passiert.

Geduld und Stehvermögen, das brauchen Michael Plamann, Margit Eckstein und die übrigen Mitarbeiter schon im Umgang mit ihren Kollegen mit Handycap. Aber es ist eine Tätigkeit, die sie voll ausfüllt, die ihrem Leben auf ganz neue Art Sinn verleiht. Weil ihr CAP Markt gelebte Nächstenliebe ist.

Teil 3
Mitarbeiter mit Behinderung arbeiten mit solchen ohne Behinderung zusammen. Und sichern so ganz neben bei die Nahversorgung in einem Dorf, in dem es vorher kaum noch Geschäfte gab.
Ein Lebensmittelmarkt mit behinderten Mitarbeitern und heilpädagogisch geschulten Mitar-beitern- das begeistert die Jugenheimer. Außerdem bildet der CAP_ Markt so etwas wie ei-nen neuen Dorfmittelpunkt.

Michel Plamann ist stellvertretender Leiter des Marktes. Aber er ist nicht nur Marktleiter.

Ursprünglich gelernt hab ich mal Koch, ich habe dann über Weiterbildung pädagogische Zusatzausbildungen gemacht und habe auch eine Zusatzausbildung in Richtung Lebensmit-telverkauf gemacht.

Seine heilpädagogische Zusatzausbildungen kann Michael Plamann gut gebrauchen, denn die Zusammenarbeit mit Menschen, die unterschiedliche Behinderungen haben, erfordert Geduld und die Fähigkeit, etwas immer und immer wieder ohne Aufregung zum wiederholten Mal zu erklären. Das ist auf dem so genannten ersten Arbeitsmarkt mit seinem permanenten Leistungsdruck nur schwer möglich. Und das macht Michael Plamann Freude an dieser täg-lichen Herausforderung

Das Verbinden von einer sinnvollen Tätigkeit im Sinne von Menschen unterstützen, Hilfe leisten können und gleichzeitig eine ganz normale Tätigkeit in Anführungsstrichen, die mir die Möglichkeit gibt, in einem wirtschaftlich geführten Betrieb zu arbeiten, diese Verbindung davon ist das Interessante hier.

In einem gut geführten Betrieb dieser Art haben alle Mitarbeiter etwas davon. Die Mitarbeiter ohne Behinderung können andere Mitarbeiter integrieren, ihnen beistehen, um das gemein-same Ziel, einen Lebensmittelmarkt für alle im Dorf zu gewährleisten. Er muss sauber und übersichtlich sein, ansprechend gestaltet sein und ein umfassendes Angebot bereit halten.
Jennifer Klein, Mitarbeiterin im Markt mit Handycap, sieht einen klaren Vorteil für die Jugen-heimer Bürger:

Nicht mehr fortfahren, im Ort was zu haben, halt auch die Unabhängigkeit wahrscheinlich grad auch für die älteren Leute, denn die älteren nützen das doch ganz viel und das Mittag-essen ist halt auch für die älteren Leute, denke ich, ne Supergelegenheit

Ältere Menschen gehen täglich mehrfach in den Laden, manchmal nur für Kleinigkeiten, die sie vergessen haben, alleinstehende Menschen nehmen dort in der Gesellschaft der Dorf-gemeinschaft ihr Essen ein oder lassen es sich mitbringen, die Gewerbetreibenden holen sich hier schnell einen warmen Snack in ihrer kurzen Arbeitspause. Und, was Margit Eck-stein in ihren Arbeitsverhältnissen auf dem normalen Arbeitsmarkt nie erlebt hat.

Da gibt’s eigentlich keinen Neid oder Konkurrenzkampf in dem Sinne wie es, sag ich mal, bei normalen Menschen, in Anführungsstrichen normalen Menschen ist, aber ansonsten es ist wirklich ein tolles Arbeiten. Ich hab schon mehrmals gesagt: Ich hab noch nie so ent-spannt gearbeitet wie hier.

Sie kann etwas geben und es kommt etwas zurück, Wärme, Anerkennung für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einer Behinderung, die sonst auf dem Arbeitsmarkt keine Chance ha-ben, auch Hilfe für die älteren Mitbürger in Jugenheim kann sie geben, sie kennt ja die meis-ten.
So wird aus einem schlichten Lebensmittelladen ein Ort gelebter Nächstenliebe.
ein neuer Mittelpunkt in einem kleinen Dorf wie Jugenheim in Rheinhessen. Ich wünschte, es gäbe mehr solcher Läden in unseren Dörfern.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=7615
weiterlesen...