SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Teil 1

Von einer Frau will ich erzählen - einer nach Meinung der Leute unmoralischen Frau.

Die Szene spielt im Tempel von Jerusalem. Da ist Jesus, und da sind Schriftgelehrte und Pharisäer. Sie stehen direkt vor Jesus. Und zwischen ihnen steht eine Frau. Laut und deutlich sprechen sie Jesus an und alle spitzen die Ohren:

Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?

Ja, was wird er wohl dazu sagen? Die Schriftkundigen haben recht. So steht's im Gesetz des Mose. Warum fragen sie überhaupt? Scheint doch alles klar zu sein: Die Frau sitzt in der Falle und mit ihr wohl auch Jesus.

Jetzt könnten die Spiele anfangen. Die miesen Spiele So hat der amerikanische Therapeut Eric Berne die immer gleichen Muster genannt, mit denen Menschen Gespräche führen. Spiele, die immer gleich ablaufen und nicht weiter führen.

Die Frau, die sie zu Jesus gebracht haben, könnte zum Beispiel sagen:
„Liebe Leute, ich verstehe, dass ihr diesen Eindruck von mir habt. Der Eindruck ist aber falsch. Ich will euch nun genau erklären, wie es wirklich war...” Das ist das „Ätsch, mich kriegt ihr nicht“ – Spiel. Peinlich für die andern, wenn ihr Vorwurf sich als haltlos herausstellt. Da dachte man, zwischen den beiden wäre was passiert; sie hätten was miteinander. Und dann stellt sich heraus: es war ganz harmlos; nichts ist passiert; war nur eine Verwechslung.

Die Frau könnte ein anderes Spiel beginnen, das berühmte „Ja-aber-Spiel”: „Ich habe das getan. Ich will’s nicht leugnen”, so könnte sie argumentieren, „aber glaubt mir: Ich wollte das alles nicht. Ich bin bedrängt worden. Man hat mir den Kopf verdreht, und ich kann so schlecht nein sagen. Ich bin in eine Situation hineingerutscht. Wenn ich das alles vorher gewußt hätte, glaubt mir, ich hätte es nicht gemacht”.

Wer seine Haut retten muss, dem sind alle Mittel recht. Er beginnt dann vielleicht auch das „Ihr-seid-ja-auch-nicht-besser-Spiel”: „Das habe ich getan und das war nicht gut“, wird die Frau sich verteidigen. „Aber nun möchte ich euch eine Frage stellen. Habt ihr einmal darüber nachgedacht, dass zu einem Seitensprung immer zwei gehören? Du da hinten, setz deinen Hut ab, damit die anderen dich sehen. Damit dich alle sehen. Du bist doch nicht besser. Wir kennen uns doch gut! Wir hatten bloß Glück, dass sie uns nicht erwischt haben.“ Dann wird aus dem Opfer der Rächer. Aus dem Gejagten wird der Jäger. Dies ist das „Ihr-seid-ja-auch-nicht-besser-Spiel”. Das große Aufwaschen, wie man so sagt. „Wenn schon ich, dann auch du“.

Wie geht Jesus mit miesen Spielen um? Die Geschichte von dieser Frau, die sie zu ihm bringen, zeigt: Er geht nicht auf das Spielangebot ein. Er ist gekommen, uns von unseren miesen Spielen zu befreien.


Teil 2

Die Menschen bringen eine Frau zu Jesus, die sie ertappt haben. Alles scheint klar. Und Jesus?

Jesus bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde.

Jesus schweigt. Die Menge schweigt. Und auch die Frau schweigt. Das Schweigen knistert. Er malt mit dem Finger im Sand herum. Wie lange werden sich die Theologen und Juristen das gefallen lassen, dass Jesus schweigend mit dem Finger im Sand malt?

Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Und er bückte sich wieder nieder und schrieb auf die Erde.

Jesus stellt die unausgesprochene Frage: Was verdeckst du mit deinen Worten? Was treibt dich eigentlich? Was sind deine wirklichen Motive?

Als sie das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern; und Jesus blieb allein mit der Frau, die immer noch in der Mitte stand. Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Frau, wo sind sie, deine Verkläger? Hat dich niemand verdammt? Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: Dann verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige nicht mehr.

Schuld wird hier nicht verschleiert, abgestritten oder versteckt. Was geschehen ist, das ist geschehen. Schuld ist da. Aber das Entscheidende: Jesus verurteilt nicht. Er sagt: Gehe hin, mach es anders! Das ist das Entscheidende, dass wir's besser miteinander machen.

„Vergebung” - das Wort fällt hier nicht. Doch hier wird Vergebung gelebt. Vergebung leben, heißt: „Gehe hin und sündige nicht mehr”. Ich schenke dir auf's Neue mein ganzes Vertrauen ohne Wenn und Aber. Mit diesem Vertrauen ohne Wenn und Aber kann sie leben. Nur mit diesem Vertrauen können wir leben, können wir's besser machen.
Durch Mißtrauen hat noch keiner zum Guten gefunden. Denn Mißtrauen, das ist ein böses Gift. Es lähmt und zerstört. Es erstickt jeden neuen besseren Versuch und zwingt in die alten Gleise. Und dann haben sie wieder einmal recht gehabt, die das alles natürlich schon vorher gewußt haben. Dann können und wollen sie ihre alten miesen Spiele weiterspielen, das „Hab-ich-doch-gleich-gewußt-Spiel”, das Spiel „Die-schafft-das-nie” oder das kaputt machende, genüßliche Spiel „Siehste-schon-wieder”.

Jesus sät Vertrauen. Dieses Vertrauen Jesu ehrt diese Frau. Das trägt sie. Mit einem solchen Vertrauen, mit einem Gott, der mir vertraut, und mit Menschen, die mir vertrauen, da kann ich einen guten Weg gehen. Denn Menschen zu enttäuschen, die mir ihr Vertrauen schenken, die es gut mit mir meinen, das ist gar nicht so leicht. Vertrauen wirkt Wunder. Denn es bringt auf wundersame Weise eine neue Qualität in jede Gemeinschaft. Dann ist Raum da für neue Gedanken, für eine tiefere Einsicht. Was verhärtet war, löst sich. Und miese Spiele kommen zu Ende. https://www.kirche-im-swr.de/?m=7549
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