SWR2 Wort zum Tag

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Das Leben gleicht einer Reise, die neben Glück und Geborgensein auch schmerzliche Lebensübergänge kennt. Solche Übergänge bieten die Chance zum Neuanfang z.B. im Beruf, in einer Beziehung, nach einem Streit.
Von einem solchen Neuanfang erzählt uns die Geschichte von Jakob und Esau in der Bibel. Zwietracht und Missgunst herrschen von Anfang an unter den Zwillingsbrüdern. Jakob war an seinem Bruder schuldig geworden, so dass er fliehen und in der Fremde leben musste. Jahrzehnte vergehen. Jakob ist reich und mächtig geworden. Aber die Schuld bedrückt ihn. Er will zurückkehren und sich mit seinem Bruder versöhnen. Davor hat er Angst.
In der Nacht vor der Begegnung mit seinem Bruder kommt er an einen dunklen Fluss, den Jabbok. Er betet zu Gott: „Errette mich von der Hand meines Bruders… ich fürchte mich vor ihm…“ Jakobs Weg zu seinem Bruder Esau ist schwer. Schuld und Angst bestimmen ihn. Noch eine Nacht liegt zwischen der Begegnung der Brüder. Eine schwere Nacht. Wer sich am nächsten Morgen stellen muss, hat keine leichte Nacht. Jakob hat Angst vor diesem Lebensübergang. Er fühlt sich wie einer, der umstellt ist. Im Dunkeln ist alles bedrohlich. Umso mehr, wenn ich weiß, dass ich schuldig bin, und nicht der andere. Jakob kämpft mit den Schatten seiner Geschichte. Wer solchem Kampf nicht ausweicht, wer vor den Abgründen der eigenen Lebensgeschichte nicht die Augen verschließt, der ist am Morgen nach solcher Nacht ein anderer. Das geht nicht ohne Narben ab. Auch nicht bei Jakob. Er hinkt.
Der alttestamentliche Erzähler erzählt und deutet die Geschichte in der Vorstellungswelt seiner Zeit, wie Jakob die segnende Hand Gottes erfährt, die ihm den Weg in die Zukunft weist. Er wird „überwältigt“ von der Hoffnung, dass das Zusammenleben mit dem anderen gelingt, auch wenn er ihn verletzt und enttäuscht hat. Das heißt: gesegnet werden.
Jakob glaubte, sich den Segen des Vaters erschleichen zu können und begreift erst nach so viel Abwegen, Dunkelheit, nach so viel Kampf: Erst jetzt bin ich gesegnet. Am Morgen geht er seinem Bruder demütig entgegen. Ihm ist in dieser Nacht aufgegangen: Schuld, Hass und Feindschaft kann ich nur hinter mir lassen, wenn ich auf Stärke, Gewalt und Macht verzichte. Und Jakob erfährt: seine Demut macht Esau Mut, ihm versöhnt entgegenzugehen.
Gilt das nur für Jakob?
Ich hoffe, dass aus bedrohlicher Nacht ein guter neuer Morgen wird. Und sei’s um den Preis, dass ich am Morgen hinke.

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