Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Mein Frühstücksritual teile ich sicher mit vielen. Ein Brötchen schmieren, Kaffee einschenken und dann die Zeitung aufschlagen. Ich lese die Schlagzeile: „Mehr als eine Milliarde Menschen hungern“. Ein Foto von einem Bauern dazu, aus Afrika, mit einer verdorrten Maisstaude in der Hand. Dann der Text: das 21. Jahrhundert droht zum Hungerjahrhundert zu werden. Schuld sind hohe Lebensmittelpreise, Weltwirtschaftskrise, Dürreperioden. Nein, mir bleibt jetzt nicht der Bissen im Hals stecken, ich lese ganz einfach weiter. Fußballdeutschland blamiert sich fast gegen Finnland, BASF erzielt höhere Gewinne als erwartet. Der Hungerartikel ist irgendwie und irgendwo im Kopf abgelegt. Später am Tag lese ich folgende kleine Geschichte. Da erzählt ein italienischer Gastwirt von einem Brauch aus einer sizilianischen Kleinstadt, den man problemlos überall auf der Welt umsetzen könnte. Wer dort einen Espresso bestellt, der bezahlt zwei, auch wenn er nur einen trinkt. Der zweite ist für einen, der ihn sich nicht leisten kann. Der Wirt notiert die Kaffeespenden, und Menschen, die gerade klamm sind, die können dann jederzeit zu ihm ins Cafe kommen und gemütlich ihr Käffchen trinken. Ich finde die Idee genial, denn jeder hat was davon und alle freuen sich: der Wirt hat mehr Umsatz, der Gast ein besseres Gefühl und der Mittellose ein Stück gesellschaftliches Leben zurück, an dem er sonst nicht teilhaben kann. Und den Kaffee natürlich. Und dann fällt mir die Schlagzeile vom gleichen Morgen wieder ein. „Eine Milliarde Menschen hungern.“ Ich weiß jetzt auch, warum ich einfach weiter gelesen habe. Ich wollte diese Schlagzeile nicht an mich ran lassen. Ich weiß ja, dass Menschen hungern, aber „Was soll ich machen?“. Ich weiß es ja, aber „Es ist weit weg“. Ganz nah dagegen ist mein Bäcker, bei dem ich regelmäßig einkaufen gehe. Ganz nah ist der Brezelstand, an den ich mittags häufig vom Büro aus gehe, ganz nah ist die Kaffeebar, in der meine Tochter manchmal die Pause verbringt. Was hindert uns eigentlich daran, die Idee aus Sizilien dort mal anzusprechen. Eigentlich nur die eigene Trägheit. Vielleicht treffe ich ja auf offene Ohren mit der Idee. Geholfen wäre jedem, mit wenig Aufwand, direkt vor der eigenen Haustür. Und man bleibt sensibel für die großen Probleme in den Schlagzeilen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=7495
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