SWR3 Gedanken

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Der Konzertsaal unserer Stadt war gut besucht an jenem Abend, obwohl sich auf dem Programm Ungewöhnliches fand. Moderne Musik des 20. Jahrhunderts. Für Freunde der sogenannten Klassik nicht immer leicht bekömmlich. In der Mitte des Programms ein berühmtes Stück des amerikanischen Komponisten John Cage. Vor fast 60 Jahren hatte er es einem der wichtigsten Gestaltungselemente in der Musik gewidmet: der Stille. Es folgten fast fünf Minuten Stille im Saal. Kein Instrument war zu hören, kein Musiker bewegte sich. Der Dirigent verharrte reglos an seinem Pult. Die wenigen jungen Besucher des Konzerts verfolgten dieses seltsame Stück weitgehend ruhig und fasziniert. Sie schienen zumindest zu ahnen, um was es ging. Es waren einige der älteren und offenbar regelmäßigen Konzertgänger, die diese Zumutung nicht aushielten. Zwischenrufe, Pfeifen, Gelächter. Mehr und mehr wurde das Stück von John Cage zum Lehrstück über die Unfähigkeit, Stille zu ertragen, mehr noch, sie ganz bewusst wahrzunehmen.
Natürlich muss verwirrt oder enttäuscht sein, wer virtuose Klangteppiche erwartet und Stille bekommt. Doch das Stück provoziert zu etwas ganz anderem. Zum gesammelten Hinhören auf das, was ist, denn auch das gehört zur Musik. Ob gewollt oder ungewollt - der Religion ist es damit fast ebenso nahe wie der Musik. Auch unsere Religion beginnt ja nicht beim Auswendiglernen von Katechismussätzen, sondern beim gesammelten Hinhören und Hinsehen, auf das was ist. Gott, so erzählt denn auch eine bekannte biblische Geschichte, fand sich nicht im Gedröhn und Getöse, sondern in der darauf folgenden Stille.
John Cage selber übrigens hat einige Jahre nach der Uraufführung erklärt, er benötige das Stück nicht mehr. Er sei nun in der Lage, es ständig zu hören. Wie es scheint, sind wir noch lange nicht so weit.
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