SWR3 Gedanken

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Das Leben kommt frei Haus. Jede Menge Leben, fast rund um die Uhr. Gelungenes und gescheitertes, heldenhaftes und verdruckstes und an allem kann man teilhaben. Dass das meiste davon inszeniertes Leben ist, künstlich aufgepeppt und zurechtgebogen für den Fernsehschirm oder das Internet – was soll´s. Die ältere Dame, die ich seit vielen Jahren kenne, hat sich in dieser Art von Leben jedenfalls häuslich eingerichtet. Inzwischen stark gehbehindert, verlässt sie das Haus nur noch ungern. Am Leben nimmt sie deshalb lieber auf ihrem Sofa teil. Dort nämlich verbringt sie den größten Teil des Tages und dort lebt sie als Zaungast im Leben der Fernsehfiguren und Talkshowgäste mit. Es bringt Abwechslung in ihren Tag und liefert ihr die Gesprächsthemen. In ihrer kleinen und eng gewordenen Welt geschieht nicht mehr viel. Manchmal, wenn ich mir ihr plaudere merke ich, wie die Welten durcheinandergehen, wie das inszenierte Leben zum Teil ihres eigenen wird, wie es ihre Wahrnehmung der Welt bestimmt.
Das Leben in Fülle hat uns die Bibel einmal verheißen. Der Satz kommt mir immer wieder mal in den Sinn, nachdem ich die alte Dame besucht habe und er lässt mich stets ein wenig ratlos zurück. Gestyltes, konstruiertes Leben in Hülle und Fülle bekommt sie jeden Tag geliefert - um die Leere ihres eigenen zu füllen. Das kann damit wohl kaum gemeint sein. Wenn der Satz aber nicht nur Vertröstung auf eine bessere Ewigkeit sein sollen, dann gilt das Hier und Jetzt. Dann gilt erst einmal, Menschen die Teilnahme am Leben überhaupt möglich zu machen, an diesem einen, ganz konkreten Leben hier und jetzt. Damit Leben in Fülle schon jetzt nicht nur bloße Verheißung bleibt.
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