SWR2 Wort zum Tag

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Selig ohne Gott, so lautete kürzlich eine Titelgeschichte in einer großen deutschen Zeitschrift. Sie beschreibt, wie der einst große Strom der Religion in unserer Gesellschaft zerrinnt in viele verzweigte Rinnsale. Statt mit Religion habe man es mit Religiosität zu tun, sagt der Soziologe Ulrich Beck. Und die zimmere sich jeder selbst zusammen wie ein Vogelhäuschen im Winter.
Selig ohne Gott. Die Formel klingt griffig. Aber sie leuchtet mir nicht ein. Denn um Gott zu verneinen, müsste ich erst einmal wissen, wer er ist. Ich beneide meine atheistischen Freunde immer darum, dass sie ganz genau wissen, wie Gott aussieht, wie er handelt, wer er ist.
Die Bibel sagt an vielen Stellen, dass wir nichts von Gott wissen können. Wenn Gott wirklich Gott ist und keine menschliche Projektion, tatsächlich der oder das ganz Andere, dann führt keine Verbindung von uns zu ihm.
Die Bibel sagt: von Gott können Menschen nur wissen, was er selbst von sich zeigt. Immer ist menschliches Erkenntnisvermögen dabei in der Gefahr, die eigenen Wünsche und Meinungen vor den wirklichen Gott zu schieben – so wie wir bei einer Sonnenfinsternis eine verdunkelte Scheibe benutzen, um vom Licht der Sonne nicht geblendet zu werden.
Ich wüsste von Gott nichts, so meine Überzeugung als Christ, wenn er selbst nicht etwas Entscheidendes von sich mitgeteilt hätte. Das ist der Inhalt des Weihnachtsfestes. Gott besucht Menschen in ihrer Welt, weil der umgekehrte Weg versperrt bleibt. Er kommt in unsere Realität, weil es vermessen wäre, dass wir in seine hinaufsteigen.
Das ist übrigens auch mein grundsätzlicher Einwand gegen eine selbst entworfene Religiosität. Dabei erliegen wir immer wieder der Täuschung einer Spiegelung. Das, was wir sehen, was wir für göttlich halten, sind nur unsere Sehnsüchte und Wün-sche. Sie sind unsere Doppelgänger, aber keine wirkliche Antwort auf unsere letz-ten Fragen.
Diese Fragen kann nur Gott selbst beantworten. Er tut das so, dass er selbst zu uns kommt – als Mensch. Das Kind in der Krippe, der Gott im Stall – zwischen all dem gedroschenen Stroh, zwischen all dem Geschiebe und Gedränge, zwischen allem, was so im Laufe einer Nacht und eines Tages geschieht.
Gott kommt selbst. In der Folge davon hilft es mir zu wissen: Ich muss mich nicht selbst verlängern und nach den Sternen greifen. Denn Gott hat sich aufgemacht. Er kommt mir so nah, wie das Kind in der Krippe mir nah kommen kann.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=7404
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