SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Überall gibt es jetzt Adventskalender. In allen möglichen Formen: klassisch mit den 24 Türchen, von denen jeden Tag eines geöffnet wird; als Seil, an dem 24 Säckchen hängen, in denen irgendeine Überraschung verborgen ist; als E-Mail-Abonnement, in dem ich mir jeden Tag einen religiösen Gedanken oder irgend einen Sinnspruch zusenden lassen kann – und vieles andere mehr. Manchmal ist der religiöse Hintergrund dieses Brauchs noch erkennbar, manchmal geht es um Werbegeschenke mit eindeutig kommerzieller Absicht. Und manchmal ist es einfach eine Möglichkeit, anderen Menschen Tag für Tag eine kleine Freude zu machen.
In dem Brauch des Adventskalenders ist die Erinnerung lebendig geblieben, dass wir unterwegs sind auf ein großes Ereignis hin. In der kleinen Freude, in der Überraschung, die hinter jedem Türchen des Kalenders hervorkommt, kündigt sich Glück an, und das ist mehr als wir uns vorstellen können. Als Kind konnte ich es kaum erwarten, bis wir endlich das letzte Türchen öffnen durften. Dann war Weihnachten.

Ich glaube, dass die Symbolik des Adventskalenders das Geheimnis von Weihnachten erschließen kann, für Christen und auch für Menschen, denen die christlichen Wurzeln dieses Festes fremd geworden sind. Ich erkenne darin einen Weg voller Erwartung. Nennen wir diese Erwartung Glück, nennen wir sie die Bestimmung unseres Lebens, nennen wir sie den Sinn unseres Lebens. Vielleicht ist sie in vielen Menschen verstummt. Viele sind vielleicht auch resigniert, weil sie oft enttäuscht worden sind. Und doch glaube ich, dass eine Sehnsucht danach in den allermeisten lebendig ist. Warum sonst sollten wir Tag für Tag die Tür auf Neues hin öffnen – nicht wissend, was sich dahinter verbirgt, oder besser: was sich dahinter auftut an glücklichen oder unglücklichen Erfahrungen, an Begegnungen oder an Einsamkeit, an Liebe oder an Enttäuschung? Und warum sollten wir Tag für Tag die Tür des Vergangenen hinter uns schließen, auch wenn dies mit dem Schmerz des Loslassens verbunden ist, auch wenn wir oft nicht verstehen, was uns unsere Tage gebracht haben? Und warum sollten wir Tür um Tür öffnen, wissend, dass wir stets im Vorläufigen bleiben? Warum sollten wir dies tun, wenn uns nicht im Innersten eine große Hoffnung auf dem Weg bleiben ließe?
Für Christen bedeutet diese Symbolik des Adventskalenders, dass wir mit jedem neuen Tag auf den kommenden Gott zugehen. Und sie kann mich dazu einladen, auch mich selber zu öffnen - dafür, dass in dem Glück und in den Rätseln jedes neuen Tags der menschgewordene Gott begegnet. An Weihnachten wird uns sein Name genannt: Immanuel, Gott mit uns.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=7296
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