SWR2 Wort zum Tag

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Seit vielen Jahren leben sie schon hier, gehören zu unserer Gesellschaft. Ihre Kinder gehen hier zur Schule, machen eine Ausbildung. Trotzdem sind sie weiterhin „Flüchtlinge“. Menschen, die aus den verschiedensten Gründen aus ihrer ursprünglichen Heimat geflohen sind. Etwa 200.000 leben in Deutschland, 30.000 von ihnen haben jetzt ein befristetes Aufenthaltsrecht erhalten – befristet heißt: auf Probe. Eine „humanitäre Großtat“ sei das, so konnte man vor wenigen Tagen in der Presse lesen. Als Kompromiss loben andere, weniger vollmundig, diese politische Entscheidung. Und Kompromiss bedeutet ja: unterschiedliche Interessen werden zum Ausgleich gebracht. Menschen, die schon lange hier leben, sollen nicht länger in quälender Ungewissheit ihrer Zukunft entgegen sehen – zumindest vorläufig. Denn, das ist die andere Seite des Kompromisses, man will ja auch keinen Anreiz schaffen, ins deutsche Sozialsystem einzuwandern. Und man will auch nicht die falschen Leute hier haben. Allzu weit geht die Großherzigkeit dann doch nicht.
Mir ist dazu die alte Tradition der Herbergssuche in den Sinn gekommen – Maria und Josef suchen einen Ort, wo ihr Kind zur Welt kommen soll. Und werden überall weggeschickt. Irgendwer weist ihnen dann aus Gutmütigkeit vorübergehend einen Platz in einem Stall zu. Wir kennen diese Szene aus Krippenspielen – gut geeignet, eine gemütvolle weihnachtliche Stimmung in uns wach zu rufen. Ich glaube aber, dass diese Thematik in den Advent gehört und dass sie gar nicht gemütvoll ist. Die Herbergssuche ist ein Bild für die urmenschliche Sehnsucht nach Geborgenheit. Für die Suche nach einer Heimat, die nicht bedroht und gefährdet ist und aus der wir nicht immer wieder vertrieben werden.
„Heimat“, so hat der Philosoph Ernst Bloch einmal geschrieben, Heimat ist das „was allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war“. Da geht es nicht nur um eine sichere Bleibe, um ein Dach über dem Kopf, um einen Arbeitsplatz, um eine einigermaßen gesicherte Zukunft. Da geht es nicht nur darum, dass wir einander in unserer Suche nach Nähe und Geborgenheit so und so oft die Tür weisen. Das alles sicher auch. Aber es geht noch um mehr: darum nämlich, dass wohl jeden Menschen ein Leben lang die Sehnsucht umtreibt, zu sich selbst zu kommen, zu der Bestimmung zu finden, die von Kindheit an in ihm angelegt ist und zu der er ein Leben lang unterwegs ist. Ich möchte in diesem Advent gelegentlich innehalten und mich besinnen, wonach ich eigentlich suche in meinem Leben.
Und vielleicht werde ich so auch offener für Menschen, denen kein Ort zugestanden wird, an dem sie einigermaßen geborgen sind und zur Ruhe kommen.



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