SWR2 Wort zum Tag

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Viele Menschen reagieren verlegen und unsicher, wenn sie sogenannten Armen begegnen, wenn ein Bettler an der Tür klingelt oder uns auf der Straße die Hand hinhält. Ähnlich bei Gruppen und ganzen Völkern, denen das Lebensnotwendige fehlt und die deswegen unterwegs sind und einen Ort suchen, der ihnen das Überleben ermöglicht. Oft reagieren wir, entsprechend unserer augenblicklichen Stimmung, großzügig oder kleinlich, manches Mal verärgert und vorwurfsvoll.
Der christliche Glaube gibt keine Empfehlung für den Einzelfall, aber doch so etwas wie eine Grundorientierung. Dabei stehen nicht Gebote und Verpflichtungen im Vordergrund, sondern die nüchterne Wahrnehmung und die Einsicht, dass wir, salopp gesagt – alle ‚im selben Boot sitzen’ sitzen, Arme und Reiche, Kranke und Gesunde, dass das, was heute den einen trifft, morgen den anderen treffen kann.
Gregor von Nyssa, Theologe und Bischof in Kleinasien im 4. Jahrhundert, hat diese Einsicht seinen damaligen Mitmenschen in einem anschaulichen Bild vor Augen geführt: „Wir haben alle Anteil am gleichen menschlichen Leben – sagt er, und keiner kann sich darauf verlassen, das es ihm auch in Zukunft gut geht. Reiche also, solange es dir gut geht und du glücklich segelst, dem Schiffbrüchigen die Hand. Wir segeln alle auf demselben Meer und bei dem gleichen Seegang und sind alle in gleicher Weise von den Wogen bedroht. Untiefen, Klippen, Felsen und sonstige Gefahren bereiten jedem Seemann Angst. Lass den nicht links liegen, der auf ein Riff aufgelaufen ist, solange du nicht selbst in Not bist und unbeschadet auf dem Meer des Lebens dahinfährst. Wer sagt dir, dass du immer gute Fahrt haben wirst? Noch bist du nicht im sicheren Hafen; noch hast du das Auf und Ab des Lebens nicht hinter dir und hast noch kein festes Ufer erreicht. Noch fährst du wie ein Seemann unter Gefahren durchs Leben, und mit jedem Schiffbrüchigen, den du aufnimmst, hast du einen treuen Reisegefährten gewonnen. Alle wollen wir in den ruhigen Hafen gelangen und der Heilige Geist möge uns für die vor uns liegende Seereise günstige Winde senden.
(Aus: Seele der Welt. Texte von Christen der ersten Jahrhunderte, Freiburg-Basel-Wien 2001, S. 69)
Wir tun nicht nur den anderen etwas Gutes, wenn wir ihnen beistehen und helfen in ihrer Not, sondern wir kommen so einander näher, wir gewinnen Reisegefährten, können zu Freunden werden. Mit ihnen hoffen wir, am Ende unserer Lebensreise an das ersehnte Ziel zu gelangen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=728
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