SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag


Advent ist die Zeit der offenen Grenzen.
Christen feiern die Öffnung der Grenze, den Fall der Mauer zwischen Gott und Mensch.
Gott kommt zu den Menschen.
Gott kommt als Mensch zur Welt, er wird sichtbar, fühlbar, angreifbar, er teilt das Schicksal seiner Geschöpfe. Und das bedeutet, dass nun auch Menschen zu Gott kommen können - und zueinander. Sie sind nicht mehr sich selber überlassen.
Nicht mehr eingesperrt in dem Gefängnis aus Angst und Schuld, Leiden und Tod.
Die Grenze ist offen, es gibt einen Ausweg, es gibt Hoffnung und ein neues Miteinander.

Von offenen Grenzen war in diesem Jahr viel die Rede. In unserem Land dachte man dankbar daran, dass vor 20 Jahren die Mauer fiel und die Teilung Deutschlands ein Ende hatte.
Damals wurde durch eine unglaubliche Serie von Pannen und Missverständnissen in dem DDR-Medien verkündigt: Ab sofort herrscht Reisefreiheit! Und die Menschen in Berlin strömten an die Grenzübergänge, um die neue Freiheit zu genießen.
Aber nicht alle wollten das wahrhaben. Studenten zogen in dieser Nacht in die umliegenden Viertel Ostberlins. Und sie klingelten Sturm und riefen zu den Fenstern hoch: Leute, aufwachen, die Mauer ist offen! kommt raus und schaut euch das an. Was aber taten die meisten Leute? Sie schliefen weiter oder schimpften über die Ruhestörung: [Die Mauer soll offen sein? ich lass mich doch nicht verschaukeln!]

Eigentlich kann ich diese Leute gut verstehen. Ich wäre da auch sehr vorsichtig.
Aber - Grenze war ja offen. Das Unfassbare war ja geschehen, und es wirkt immer noch nach. Genauso ist es mit dem Kommen Gottes, mit Jesu Geburt, mit seinem Leben, Sterben und Auferstehen. Die Grenze ist offen! Und wer der Botschaft Glauben schenkt, wer sich aus dem Bett holen lässt und auf den Weg macht, wird es erfahren. Gottes Menschenfreundlichkeit, Bereitschaft zur Vergebung kann sich auch bei mir durchsetzen, in meinen Beziehungen. Ich muss nicht mehr eingesperrt zu sein, z. B. in der Mauer mit dem Namen: Ich bin im Recht! Ich gebe nicht nach!
Ich erlebe es, wie Gott die Kraft schenkt, den Stolz zu überwinden, auf einen Menschen zuzugehen, Dinge beim Namen zu nennen. Und wenn wir uns dann wieder in die Augen sehen können, wieder miteinander leben und arbeiten können, ist das ein echter Mauerfall, ein anderes Leben.

Advent. Eine Stimme ruft vor meinem Fenster: Die Grenze ist offen.
Trägheit, Vorurteile, Bequemlichkeit muss ich schon selber überwinden. Auch die Angst vor der Enttäuschung.
Aber ich mache mich auf den Weg.
Ich muss ja nicht gleich umziehen.
Aber ich kann schon mal lernen und genießen, mit offenen Grenzen zu leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=7278
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