Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Mein Adventskalender schlägt eine seltsame Übung vor:
„Stell dich bei Dämmerung vor ein großes Wohnhaus und warte, bis fünf Fenster erleuchtet sind.“ Na ja, jeden Tag gibt der Kalender mir so eine Aufgabe, eine seltsamer als die andere, aber alle drehen sich ums Warten. Im normalen Leben kann ich das nicht gut. Da ist immer etwas zu tun. Und je älter ich werde, umso mehr habe ich das Gefühl, verplant und gehetzt zu sein. Vielleicht auch, weil die Lebenszeit langsam knapp wird. Das macht mich irgendwie ungeduldig. Schnell genervt. Und das hier, das ist ja völlig überflüssig. „Stell dich bei Dämmerung vor ein großes Wohnhaus und warte, bis fünf Fenster erleuchtet sind.“ Das klingt total absurd. Aber vielleicht ist es gerade das, was mich reizt und ich versuche es. Stelle mich an eine Straße. Zuallererst nerven einmal die Autogeräusche. Es ist dunkel, kalt und nieselt. Ich lasse die Autos an mir vorbeirauschen. Schaue auf die Fenster eines vierstöckigen Jugendstilhauses und warte.
Meine innere Liste kommt mir in den Sinn.
Ich muss unbedingt noch in die Werkstatt, am Auto funktioniert ein Rücklicht nicht richtig. Ich rieche den Regen. Nichts geschieht. Was tue ich hier?
Trotzdem bleibe ich. Ich überlege: Warum stört es mich, einfach nur so hier herum zu stehen? Es gibt Sinnvolleres zu tun. Das hier sind doch nur leere Momente.
Plötzlich denke ich daran, wie es wohl wäre, wenn ich damals mehr Mut gehabt hätte, als ich noch Musik gemacht habe, Mut, vom Musik machen zu leben… Was daraus wohl geworden wäre? Ach, was soll das? Und da war sie dann: eine Lücke, klein genug für ein paar Träume. Und plötzlich, während ich da in der Kälte stehe und immer noch warte, dass im Haus gegenüber fünf Lichter brennen, weiß ich, es ist Advent. Und eigentlich warte ich auf etwas ganz Anderes, Geheimnisvolles. Und die Vernunft wischt es ausnahmsweise einmal nicht weg.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=7223
weiterlesen...