Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Da soll ein neuer Kollege kommen – und schon bevor er da ist, macht das erste Gerücht über ihn die Runde. Sein Start ist von vornherein belastet.
Da gibt es Knatsch im Vereinsvorstand, und der eine macht sich Luft und zieht beim Stammtisch über den anderen her. Das spricht sich herum, der Betroffene erfährt es, und die Beziehung zwischen den beiden ist dadurch ganz vergiftet; im Vorstand läuft jetzt gar nichts mehr.
Das sind keine Einzelbeispiele. Immer wieder passiert es, dass über Dritte, über Abwesende schlecht geredet wird. Es gibt Tratsch, üble Nachrede, Vorurteile. Und das Muster ist oft das gleiche. Dem, der da über andere redet, dem tut es gut, dass er seine Empfindungen loswerden kann. Er findet offene Ohren, vielleicht sogar Verbündete. Er fühlt sich bestätigt und kann sich deshalb o.k. fühlen. Oft auf Kosten dessen, über den es hergeht. Denn die, die zuhören und zustimmen, die machen sich ein festes Bild von ihm. Meist stimmt es nicht. Der Betroffene weiß nichts davon, und er kann nichts tun gegen das Gerede über ihn. Aber er bekommt er es zu spüren, spätestens dann, wenn andere ihm gegenüber auf Abstand gehen. Wehe, wenn er davon erfährt, wie ihm mitgespielt worden ist und wer es war! Oft ist dann die Beziehung nachhaltig gestört.
In der Ordensregel einer modernen Mönchsgemeinschaft von Schwestern und Brüdern steht deshalb: „Sage oder höre niemals etwas über einen abwesenden Bruder oder über eine Schwester, was du ihnen nicht schon gesagt hättest oder bereit wärst, ihnen in aller Offenheit zu sagen.“
Dieser Satz steht in der Lebensregel der „Monastischen Gemeinschaft von Jerusalem“. Ihre Mitglieder leben, arbeiten und beten bewusst mitten in den Städten, und sie legen großen Wert auf ein glaubwürdiges Gemeinschaftsleben. Sie wissen, dass das nur gelingen kann, wenn alle offen miteinander umgehen. Deshalb untersagt die Ordensregel jegliches Mitmachen bei lieblosem Gerede. Sie animiert dazu, dem anderen direkt zu sagen, was zu sagen ist. Dieser weise Rat war mir selbst schon eine Hilfe, wenn ich in der Gefahr war, über andere in deren Abwesenheit zu reden.

Die zitierte Regel findet sich in: Im Herzen der Städte. Lebensbuch der monastischen Gemeinschaften von Jerusalem, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2000, 22, = Regel Nr.9. Weitere, aktuelle Informationen über den Orden original auf französisch in www.jerusalem.cef.fr und per Internetrecherche zu „Monastische Gemeinschaft von Jerusalem“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=718
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