SWR3 Gedanken

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Carola ist dreiundvierzig. Vor anderthalb Jahren ist ihr Mann an Krebs gestorben. Sie will wieder leben. Aber sie weiß nicht mehr, wie das geht. Sie weiß nicht mehr, wie man unbeschwert ist. Wie man durchatmet. Wie man genießt. Sie weiß nur, dass sie allein ist. Und findet sich langsam damit ab, dass sie das auch bleiben wird. Verschließt den Kummer immer mehr. Lässt ihm nur ab und zu freien Raum - an erlesenen Abenden bei einem erlesenen Glas Wein. Aber außer ihr sieht das ja niemand.

Die Verwandtschaft. Keine echte Stütze. Viel zu viele Erwartungen. Die sie nicht erfüllen kann. Und nicht erfüllen will. Die erwarten Trauer. Bis zum jüngsten Tag. Dafür fühlt sich Carola noch viel zu jung. Deswegen die bunte Bluse beim letzten Familienfest. Keine gute Idee. Viel zu viele hochgezogene Augenbrauen und gerümpfte Nasen. Das schickt sich nicht für eine Witwe. Egal, wie alt sie ist.

Seit ihr Mann weg ist, sind auch die Freunde weg. Wissen zu oft nicht, was sie sagen sollen. Was sie tun sollen. Ab und zu ein Anruf. Irgendwann kein Anruf mehr. Carola ist viel allein. Allein mit ihren Gedanken. In denen der Tod eine Rolle spielt, der ihr Leben verändert hat. Aber auch das Leben, nach dem sie sich sehnt.

Wenn man jemanden verliert, ändert sich das ganze Leben. Nichts ist mehr, wie es vorher war. Und zu der Trauer über den Verlust eines Menschen kommt die Trauer über den Verlust des eigenen Lebens, wie man es sich erhofft hat. Wie es war, wird es nicht mehr sein. Und wie es sein soll? Keine Ahnung. Keine Energie für den ersten Schritt. Und selten genug findet man Menschen, die einfach nur Verständnis haben.

Trauer kennt keine Regeln. Jedenfalls keine allgemein gültigen. Und jeder Mensch, der trauert, hat ein Recht darauf, nach seinen Regeln zu trauern. Da gibt es Tage, an denen die Trauer wie eine dunkle Decke ist. Und Tage, an denen man das Leben spüren will. Und an manchen Tagen fühlt man schlichtweg gar nichts. Das alles hat seine Zeit, braucht seine Zeit. Und Menschen, die mit engelsgleicher Geduld diesen Weg mitgehen. Schritt für Schritt ins Leben.
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