SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken


Seit Stunden schon reden wir aneinander vorbei. Die einen wollen dies, die anderen wollen das. Die Zeit vergeht, und nichts kommt dabei heraus. Wie das bei Besprechungen eben manchmal der Fall ist. Aber diesmal verlässt mich die Geduld. So viele Dinge hätte ich erledigen können, und stattdessen sitze ich hier herum und vergeude meine Zeit.

Schließlich platzt mir der Kragen. Ich räume meine Sachen zusammen und erkläre den verdutzten Anwesenden, dass ich jetzt gehen werde. Und das tue ich auch. Mit der Bitte, mir Bescheid zu sagen, wenn sich doch noch etwas ergeben sollte. Aber auch mit dem deutlichen Zweifel in der Stimme, dass das heute noch passieren wird. Beim Mittagessen treffe ich einen aus der Besprechung wieder. „Na“, sagt er, „du bist ja heute ganz schön aus der Rolle gefallen.“

Stimmt. Ich bin aus der Rolle gefallen. Aber was wäre eigentlich meine Rolle gewesen? Wahrscheinlich dabeisitzen bis zum bitteren Ende und den Mund halten. Nicht auffallen, nicht stören, nicht anecken. Das Leben ist nun einmal so. Man muss die Dinge hinnehmen, wie sie sind. Man kann sie eben nicht ändern. Diese Sätze habe ich seit meiner Kindheit oft genug gehört. Sie scheinen meine Rolle zu beschreiben. Meine und die der anderen auch. Wenn ich sie ausfülle, dann bin ich ein braves Kind. Wenn ich das nicht tue, bin ich ein Störenfried. Falle aus der Rolle.

Rollen gibt es beim Theater. Da werden Menschen dafür bezahlt, dass sie in die Haut eines anderen schlüpfen, seine Worte sprechen, seine Gefühle leben. Wenn am Theater einer aus der Rolle fällt, dann heißt das, dass sein eigentliches Ich zum Vorschein kommt. Er spielt nicht mehr eine Person, er ist eine Person. Er ist er selbst in diesem Moment.

Wenn ich aus der Rolle falle, ist das nicht viel anders. Ob in Besprechungen, auf Ämtern oder beim Abendessen. Dann komme ich zum Vorschein – mit dem, was ich wirklich denke und fühle. So gesehen, finde ich es gar nicht so schlecht, ab und zu aus der Rolle zu fallen. Schließlich bin ich eben nicht auf der Bühne, sondern mitten im Leben.
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