SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ich möchte in dieser Woche an Dorothee Sölle erinnern, der großen Theologin des 20. Jahrhunderts, die in diesem Herbst 80 Jahre alt geworden wäre. In einem Gedicht sagt sie:

„… Dreh dein gesicht zu uns gott
komm zu denen die nach dir ausschau halten
mach uns satt am morgen von deinem licht…
bring uns brot und rosen mit gott…
und hilf uns deine welt bewahren
und treib das werk unserer hände voran
die gute arbeit der befreiung“


Diese Verse sprechen von der Sehnsucht nach einem Gott, der erfahrbar wird in der Schönheit der Schöpfung, in der Lebensfreude, in sinnerfüllter Arbeit. Sie sprechen Gott an, der bei uns Menschen sein will, einen Gott, der die Menschen braucht. Gott so zu verstehen heißt, ihn vom Himmel auf die Erde holen. Das wollte auch Dorothee Sölle. Ihr Engagement in der Friedensbewegung und für die Bewahrung der Schöpfung, ihr Eintreten für die Armen, ihr Protest gegen Krieg und Gewalt sind eine Theologie, die poetisch gesprochen, mit den „Augen Gottes“ sehen wollte. Mit den „Augen Gottes“ sehen zu können ist auch meine Hoffnung. Es ist die Hoffnung auf ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit, auf ein sinnerfülltes Leben, damit auch ich sagen kann: „… treib das werk unserer hände voran / die gute arbeit der befreiung“
Der Traum von einer besseren und gerechteren Welt bleibt immerwährende Aufgabe und Hoffnung, damit diese Erde bewohnbar bleibt. Diese Hoffnung hat ihren Grund in Jesus von Nazareth. Durch ihn haben wir Gott neu sehen gelernt als den, der sich mit Menschen solidarisiert, als den, der mit Hungernden, Kranken und Geknechteten leidet. Dieser „Mensch für andere“ hat uns gezeigt, dass Gottes Reich nicht im Himmel ist, sondern bei den Menschen auf dieser Erde. Sich auf Jesus beziehen, bedeutet in seine Lebensgeschichte eintreten; aber mit seinem Tod war seine Wirkungsgeschichte nicht beendet.
Es ist die Kraft der Nachfolge Jesu, aus der und von der wir leben, das „Brot der Ermutigung“, das wir im Namen Gottes miteinander teilen. Gott wird entdeckbar im Antlitz des anderen Menschen, so dass wir sagen können „… dreh dein Gesicht zu uns Gott… bring uns brot und rosen…“


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D. Sölle, zivil und ungehorsam. Gedichte, Berlin 1990, S. 61
https://www.kirche-im-swr.de/?m=7143
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