SWR2 Wort zum Tag

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„Wir brauchen licht / um denken zu können / wir brauchen luft / um atmen zu können
wir brauchen ein fenster / zum himmel“


Das sind Verse von Dorothee Sölle, an die ich in dieser Woche erinnern möchte. Sie wäre in diesem Herbst 80 Jahre alt geworden. Sölle ist für mich und viele meiner Generation prägend gewesen. Ihre Bücher, ihre Bibelarbeiten auf Kirchentagen, ihr Auftreten bei Friedenskundgebungen waren Wegzeichen der Hoffnung und Ermutigung. Es war wie ein Aufbruch in das gelobte Land, wo Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit gelebt werden können.
Was ist von ihr geblieben, was ist mir wichtig weiterzugeben?
Es ist ihre radikale Ermutigung zur Phantasie des „Lebens in seiner Fülle“. Es ist die Sehnsucht nach Licht und Freiheit, ihr Mit-leiden und das Bedürfnis, Sinn zu erfahren und Sinn zu stiften. Ihr theologische Denken und Handeln ermutigt zur Weiterarbeit.
Deshalb wiederhole ich ihre Worte:
„Wir brauchen licht / um denken zu können / wir brauchen luft / um atmen zu können / wir brauchen ein fenster zum himmel“

Diese Verse fordern auf zu bewusstem Sehen und Wahrnehmen.
Licht hat die Funktion, sehend zu machen, aufzuklären. Es bringt die Farben zum Leuchten, lässt die Schönheit der Natur erstrahlen. Licht gibt Orientierung, Sicherheit auf dunklen Wegen. Etwas licht werden lassen heißt, Erkenntnis gewinnen, Wahres von Falschem zu unterscheiden. Wo etwas licht wird, sehe ich anders. Wie das Licht zum Sehen, so brauchen wir die Luft zum Atmen. Sie gibt und erhält Leben, bedeutet Freiheit. Aber Licht und Luft sind nicht alles zum Leben. Wir brauchen ein „Fenster zum Himmel“, etwas das trägt und erhält, etwas, das größer ist als ich. Es ist der Wunsch nach Sinn, nach Glauben und Hoffnung. Es ist auch die Suche nach Heimat, Geborgenheit und die Abkehr von allem, was gegen das gottgegebene Leben gerichtet ist. In dieser Suche bleiben wir angewiesen auf ein Gegenüber, auf eine gelebte Beziehung zum Leben, die wir Gott nennen.
Diese Sehnsucht, das „Fenster zum Himmel“, diese Hoffnung gilt es wachzuhalten und dafür zu arbeiten, damit ein Stück Himmel auf unserer Erde Wirklichkeit werden kann.

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(D. Sölle, in: verrückt nach licht. Gedichte, Berlin 1984, S. 167)
https://www.kirche-im-swr.de/?m=7141
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