SWR2 Wort zum Tag

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Brüdergeschichten gibt es viele in der Bibel. Und meistens sind es keine Familienidyllen, von denen erzählt wird, wie z.B. die Geschichte von Kain und Abel.

In dieser archaischen Geschichte geht es um die Rivalität zwischen zwei gegensätzlichen Brüdern. Kain und Abel sind die Söhne von Adam und Eva, geboren jenseits von Eden in einer Welt, in der die Menschen ihr Leben mühsam der Natur abtrotzen müssen. Kain ist der Ältere. Abel der Jüngere.

Der Name Kain bedeutet „ich habe erworben“, der Name Abel bedeutet „Windhauch“. Damit stehen die beiden Brüder für zwei gegensätzliche Lebenserfahrungen. Menschen können sich etwas erwerben durch ihr Tun, durch ihre Kenntnisse und ihre Arbeit. Kain ist Ackerbauer. Er markiert die menschheitsgeschichtliche Errungenschaft, dass unsere Vorfahren den Zusammenhang von Säen und Ernten begriffen haben und dadurch sesshaft werden konnten. Kain – ich habe erworben!

Abel dagegen ist Hirte. Er muss mit seinen Tieren dorthin gehen, wo etwas wächst. Er kann nicht Einfluss auf sein Schicksal nehmen. Es kommt wie es kommt - wie der Windhauch. Abel erinnert an die Hinfälligkeit und Zufälligkeit des Lebens, der wir preisgegeben sind.

Beide Brüder bringen Gott ein Opfer dar. Kain von den Früchten des Feldes, Abel einen Erstling aus seiner Herde. „Und Gott schaute auf Abel und sein Opfer, aber auf Kain und sein Opfer schaute er nicht.“, so steht es in der Bibel. Kain sucht Gottes Wohlgefallen für das, was er sich durch seiner Hände Arbeit erwoben hat. Warum schaut Gott nicht auf sein Opfer? Warum zieht er das Opfer seines Bruders vor? Ist Abel besser, Gott wohlgefälliger? Kain verstrickt sich so tief in dieser Rivalität, dass er seinen Bruder schließlich tötet, um den Konkurrenten in der Gunst Gottes auszuschalten.

Eine abgründige und zutiefst verstörende Geschichte, aus der jedoch auch eine tiefe menschliche Sehnsucht spricht: Ansehen bei Gott zu haben. Ich glaube nicht, dass diese Sehnsucht dazu führen muss, sich immer wieder mit anderen zu vergleichen, ob sie besser oder schlechter vor Gott dastehen. Ich glaube, dass Gott jedem Ansehen schenkt – aber dies innerlich zu erfahren, ist ein langer Weg.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=7133
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