Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Jetzt, im November, sind sie besonders schön geschmückt, die Gräber auf den Friedhöfen. Weil alle gemeinsamen Totengedenktage in diesem Monat liegen: Allerseelen, Totensonntag, Volkstrauertag. Dafür werden viele Gräber eigens liebevoll hergerichtet. Verwandte und Freunde besuchen die letzte Ruhestätte ihrer Verstorbenen. Sie sind in Gedanken bei ihnen, sie beten für sie, sie zünden eine Kerze an.
In diesen Wochen besuche ich den Friedhof meines Heimatortes. Doch auch das Jahr über gehe ich ab und zu über den Friedhof. Es ist ein Stückchen Erde, das wirklich Ruhe und Frieden ausstrahlt. Aber in diesem Gang über den Friedhof steckt für mich noch viel mehr drin. Die ersten 18 Jahre meines Lebens habe ich in unserem Dorf verbracht, und bis heute bin ich öfter dort und habe noch gute Verbindungen. Von daher kenne ich die meisten, die inzwischen auf unserem Friedhof beerdigt sind. Wenn ich an ihren Gräbern vorbeigehe, dann kommen so manche Erinnerungen hoch – an das, was ich mit ihnen erlebt habe: Der Bauer, bei dem wir früher jeden Tag die Milch geholt haben und auf dem Hof herumgestrolcht sind; die Nachbarn, mit denen wir als Kinder Heu gemacht haben; der Gemeindearbeiter, bei dem ich mein erstes Geld verdient habe; der Küster, der sich lange Zeit liebevoll um unsere Kirche gekümmert hat; der Eisenbahner, der früher in einem Zimmer seines Hauses nach Feierabend die Raiffeisenbank geführt hat; ein Klassenkamerad, der früh gestorben ist; meine Großeltern, meine Mutter. Auf unserem Friedhof begegne ich all diesen Menschen – und durch sie begegne ich auch mir selbst, weil sie zu meiner Lebensgeschichte dazugehören, weil sie mich in unterschiedlicher Weise mitgeprägt haben. Und noch in einem zweiten Sinn begegne ich durch all diese Menschen mir selbst: An ihren Gräbern werde ich daran erinnert, dass auch ich vergänglich bin, dass auch ich einmal sterben werde; dass ich ihnen nachfolgen werde durch den Tod zur Auferstehung.
Das ist für mich einerseits ein Anstoß, hier und heute ganz bewusst zu leben. Und andererseits freue mich jetzt schon darauf, wenn ich sie alle im Himmel wiedersehe. Dann werden wir alles feiern, was wir am Schönem gemeinsam erlebt haben – und ich glaube, Gott wird auch das heilen und ganz machen, wo es auf Erden Konflikte und gestörte Beziehungen gab.
Im Himmel begegnen wir einander ohne die Begrenztheiten, durch die wir uns jetzt manchmal miteinander schwer tun. Und im Himmel wird all das an Gemeinschaft vollendet, was wir jetzt in Anfängen erleben. Darauf freue ich mich schon.

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